Tier-Helden in Siem Reap: Minensuche mit Ratten

❂ In Siem Reap werden Ratten für die Minensuche ausgebildet. Man nennt sie auch “Hero Rats”.❂ Bei einer der wichtigsten Missionen Kambodschas entpuppen sie sich als wahre Helden, denn die besonders leichtgewichtigen, flinken Tierchen zeigen im Vergleich zu Metalldetektoren eine 50-mal höhere Genauigkeit bei der Suche nach Minen. Verantwortlich für den Erfolg der kleinen Spürnasen ist die Organisation “Apopo”. Wer Interesse an diesem Thema hat, sollte unbedingt im “Visitor Centre” vorbeischauen.

Apopo ist eine Organisation mit Sitz in Siem Reap, die sich auf die Ausbildung von Ratten als Minensucher spezialisiert hat. Die Firma hat es sich zum Ziel gesetzt, den gefährlichen Erblasten von Landminen in verschiedenen Regionen entgegenzuwirken.

Kambodscha hat eine traurige Geschichte von bewaffneten Konflikten hinter sich, insbesondere während des Vietnamkriegs und des Bürgerkriegs in den 1970er und 1980er Jahren. Während dieser Zeit wurden unzählige Landminen verlegt. Im Besucherzentrum von Apodo können Interessierte alles über die dramatische Historie sowie über die ‘Ratten-Retter’ erfahren, die dafür trainiert werden, Leben zu retten.


Gefahrenherd Minen

Der Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr (Quelle: Reservistenverband, Bericht vom 14.01.2022) schreibt in ihrem Magazin: “Landminen sind auch Jahrzehnte nach Kriegsende eine tödliche Gefahr. 2019 wurden 5.500 Menschen in 55 Ländern bei Unfällen mit Landminen getötet oder verletzt”.

Tausende von Menschen sind seit den Kriegen auf eine Landmine getreten. Zu den Unfall- oder Todesopfern gehören vor allem spielende Kinder, die neugierig glänzende Objekte aus der Erde buddeln oder Bauern, die ihre Felder bestellen. Außer Landminen sind auch Blindgänger ein Problem; vor allem Reste von Clusterbomben. Viele Menschen haben wegen ihres “Fehltritts” Gliedmaßen verloren, oder müssen den Verlust von Angehörigen verkraften. Ein menschliches Drama.

Um dieses Schicksal zu verhindern, hilft die in Belgien ansässige Minenräumorganisation Apopo seit 20 Jahren bei der Bergung von Minen.

In Simbabwe, Angola, Mosambik und Kambodscha haben Minensucher seit der Gründung rund 140.000 Landminen gefunden und zerstört. Kambodscha gehört zu den am stärksten von Landminen verseuchten Ländern der Welt. Bis zu sechs Millionen sollen dort noch in der Erde sein.

Obwohl die gewalttätigen Soldaten von Pol Pot längst der Vergangenheit angehören, bleiben ihre versteckten Minen also weiterhin eine große Gefahr für die Bevölkerung. In Südostasien arbeitet Apopo mit der staatlichen Minenräumbehörde Cambodian Mine Action Centre (CMAC) zusammen.

Während ihrem Einsatz haben die Minenräumer besondere Unterstützer: Minenspürratten! Die flinken Tierchen unterstützen die “Rat-Handler” bei ihrem gefährlichen Job mitten im Minenfeld.

Die Organisation Apopo nutzt diese Tiere wegen ihres Leichtgewichts und ihre außergewöhnlichen olfaktorischen Fähigkeiten. Die “Hero Rats” können Landminen und Blindgänger in bis zu 20 Zentimetern Tiefe erschnüffeln. Das Konzept hat Erfolg. Wie schon erwähnt weisen diese “Minen-Ratten” eine 50-mal höhere Treffsicherheit im Vergleich zu herkömmlichen Metalldetektoren auf. Das ist beeindruckend!


Ratten-Training

Die Riesenhamsterratten werden in Zuchtstationen in ihrem Ursprungsland Tansania gezüchtet und ausgebildet. Bis zu ihrem ersten Einsatz durchlaufen sie zunächst ein intensives neunmonatiges Training. Diese Spezialausbildung kostet pro Tier immerhin 6000 US Dollar.

Das Apopo Trainingszentrum in Siem Reap ist der wichtigste Standort für die Ausbildung dieser Ratten. Hier werden sie auf das Erkennen von Geruchsstoffen geschult, die mit Sprengstoffen in Verbindung stehen.

Die Methode zur Landminenerkennung wurde von Wissenschaftlern aus Belgien und Tansania mit Unterstützung der Universität Antwerpen entwickelt. Erstmals ermöglichte es dieser innovative Ansatz, mit Hilfe von Tieren Minen aufzuspüren, ohne dabei Menschenleben zu gefährden.

Ehrgeiziges Ziel von Apopo: Bis 2025 soll Kambodscha weitgehend minenfrei sein. Unnabhängig davon setzt die Organisation diese Technologie nicht nur im eigenen Land ein, sondern auch in anderen von Minen betroffenen Regionen weltweit.


Besucherzentrum in Siem Reap

Um das tierische Schauspiel live zu erleben, sollte man sich in das “Apopo Visitor Centre” begeben. Ich kann Ihnen den Besuch wirklich wärmstens empfehlen. Zunächst wird vom geschulten Personal ein Vortrag über die Minensuche gehalten…,

…wobei vor allem auf die Tragik der Kriege anschaulich eingegangen wird. Diese waren schließlich Auslöser des großen Elends! Zahlreiche Info-Tafeln helfen zu verstehen, was während der letzten Jahrzehnte in Kambodscha geschehen ist. Hier ein Chart über die Bombardierung von US-Truppen während des Vietnam Krieges 1965 – 1975.


Lektion in Kriegsgeschichte

Fakt ist: Die USA warfen während des Vietnamkriegs mindestens 26 Millionen explosive Submunition auf Kambodscha ab. Das hochgefährliche Gemisch, auch bekannt als Streumunition, besteht aus Bomben und Granaten, die nicht als Ganzes explodieren. Diese liegen nach dem Abfeuern aus der Luft stark zerstreut im Gelände und verbleiben dann viele Jahre im Verborgenen. Bis einer drauftritt…

Hinzu kommen Unmengen an Landminen, die während eines Militär-Coups (1970 – 1975) und anschließend während der Khmer Rouge Periode (1975 – 1979) in der Erde versteckt worden sind. Eine fatale Saat, die hinterlassen wurde. Hier eine Info-Tafel über die “Potenzielle Kontamination durch Minen in Kambodscha”.

All dies stellt bis heute noch ein hohes Risiko für die Bevölkerung dar. Seit 1979 verloren mehr als 25 000 Menschen ein Bein oder Arme. In keinem Land der Welt gab es aufgrund von Landminen so viele Opfer wie in Kambodscha. Zugleich möchte ich beruhigen:

Besucher des Landes müssen keine Angst haben, denn in den touristischen Gebieten und Städten sind Minen kein akutes Problem. Städte wie Siem Reap (Angkor Wat), Phnom Penh und andere gut frequentierte Gebiete wurden schon vor Jahrzehnten “gesäubert”.

Zu vermeiden sind jedoch ländliche Gegenden und Wälder, die während der Kriege und Aufstände mit Landminen verseucht wurden. Diese Gebiete sind normalerweise markiert und abgesperrt. Dennoch ist Vorsicht geboten, wenn Sie sich abseits der beschilderten Straßen und Pfade bewegen wollen!

Eins ist sicher: Im Besucherzentrum von Apodo wird das Bewusstsein für die Probleme im Zusammenhang mit Landminen geschärft und trägt definitiv dazu bei, Kambodscha in seiner Gesamtheit besser zu verstehen.

Nach der Informations-Tour geht’s nach draußen in den weitläufigen Innenhof. Dort finden sich mehrere abgesperrte Sandfelder, auf denen wir gleich die Vorführratten “in action” erleben werden.


“Helden-Ratten” hautnah

Eine Hundertschaft der äußerst intelligenten “Hero Rats” ist in Kambodscha täglich im Einsatz, und zwar von 6:30 bis 9:30 Uhr. Danach wird es draußen zu heiß und es geht wieder ab “nach Hause”. Zu Apodo.

Es ist schon sehr faszinierend zu beobachten, wie die grau-braunen mausähnlichen Nagetiere, über die wir normalerweise die Nase rümpfen, fast wie Haustiere behandelt werden. Die Unterbringung erfolgt in speziellen Gehegen, die für ihre Bedürfnisse und ihre Gesundheit optimiert sind.

Dabei spielen Faktoren wie Luftzirkulation, Hygiene und artgerechte Haltung eine wichtige Rolle. Tierärztliche Untersuchungen finden regelmäßig statt.  “Nur wenn es den Ratten gut geht, arbeiten sie schnell und effektiv”, erklärt der Manager.

Nach der Fütterung ist es Zeit für die Vorführung auf dem Gelände im Innenhofs. Ein wenig mulmig ist mir schon, als einer der Wärter diese Ratte aus ihrem Käfig nimmt.  Was, wenn das Tier zubeißt? Wurde uns nicht schon als Kind eingebläut, dass diese pelzigen Viecher Krankheitsüberträger sein können?

Instinktiv weiche ich zurück, der Mann lacht.

Na ja, irgendwie niedlich wirkt der Kleine ja schon…! Und er hat auch einen Namen, denn – so erfahren wir: Jedes Tier hat seine ganz eigene, individuelle Persönlichkeit und wird entsprechend behandelt.

Legendär war übrigens das Rattenmännchen Magawa, das von Apodo aufgezogen und ausgebildet wurde. Fünf Jahre lang erschnüffelte er Landminen und Sprengstoffe und erhielt dafür die höchste zivile britische Tapferkeitsauszeichnung für Tiere. Die haben vorher nur Hunde erhalten. Das war sogar dem SPIEGEL eine Story wert. Und auch der FAZ.

Anfang des Jahres 2022 starb das Tier und das Management veröffentlichte umgehend diesen Nachruf: »Wir alle bei Apopo trauern um Magawa und sind dankbar für die unglaubliche Arbeit, die er geleistet hat. In seiner Karriere hat er über hundert Landminen und andere Sprengstoffe gefunden, was ihn zur bisher erfolgreichsten HeroRAT von Apopo macht.«

In diesem speziellen Kontext werden die Ratten natürlich nicht als gefährliche Nagetiere betrachtet, die sich auf Mülldeponien herumtreiben.  Sondern als nützliche Helfer, denen man für ihren Einsatz dankbar ist.

Interessiert höre ich zu, als der Minen-Einsatz der heldenhaften Tiere im Detail erläutert wird. Zunächst wird den Schüfflern eine Art Geschirr über das Fell gezogen, an der eine lange Schnur befestigt ist.

Der Betreuer (“Rat-Handler”) hält die Kordel abseits vom eigentlichen Geschehen locker in der Hand und läßt das Tier seine Arbeit machen. Zentimeter für Zentimeter eines Geländes wird auf diese Weise abgesucht. Und weil sie nicht viel wiegen, können die Tiere keine Detonation auslösen.

Kaum erschnüffelt die Ratte einen TNT-Sprengstoff, kratzt sie an der entsprechenden Stelle auf dem Boden. Spezialisten markieren sie dann und graben die Minen äußerst vorsichtig aus, danach werden sie aus sicherer Entfernung gesprengt.

Seit April 2015 wurden vier Millionen Quadratmeter von explosiven Kriegsresten mit Hilfe der Ratten gesäubert. Eine wahre Leistung!

Und noch ein interessanter Fakt: Ratten schaffen es, in 30 Minuten rund 250 – 300 Quadratmeter Erde abzuschnüffeln. Zum Vergleich: Ein Techniker mit Metalldetektor braucht für die gleiche Aufgabe zwei bis vier Tage, je nachdem, ob das Feld besonders kontaminiert ist oder nicht.

Hinzu kommt: Eine Mine zu entschärfen kostet viel Geld. 300 bis 1000 US Dollar muss die staatliche Minenräumungsbehörde CMAC berappen. Da kommt ihnen die Zusammenarbeit mit den “günstigen” Ratten von Apopo gerade recht.

Im Besucherzentrum sind Dutzende Tretminen ausgestellt. Viele davon stammen aus chinesischer, russischer oder vietnamesischer Produktion. Natürlich wurden sie vorab unschädlich gemacht, doch der “Duft” bleibt derselbe, und genau darauf reagieren die Ratten.

Jedes Mal, wenn die Ratte ein vergrabenes Metallstück entdeckt und zu scharren anfängt, wird sie dafür “belohnt”. Dazu muss man wissen: Während ihrer Ausbildung werden die Ratten durch ein “Click Training” konditioniert. Jedes Klick-Geräusch wird stets mit einem “Leckerli” kombiniert, das die Ratten für das Auffinden jeder Mine erhalten.

Dieses Prinzip wird sowohl draußen auf den Feldern als auch auf dem Vorführ-Areal beibehalten. Es ist schon rührend zu sehen, wie das kleine Tier die Erdnuss oder Bananenscheibe dankbar entgegennimmt.

Seit einigen Jahren setzt Apopo seine Riesenhamsterratten auch für die Schnellerkennung von Tuberkulose (TB) ein. Die Ratten werden darauf trainiert, Proben von Sputum, der durch Husten oder Niesen produzierten Flüssigkeit, auf das Vorhandensein von TB zu untersuchen. Die Fähigkeit der Ratten zur schnellen und zuverlässigen Diagnose hat in einigen Regionen dazu beigetragen, TB-Massenscreenings effizienter zu gestalten, insbesondere in Gebieten mit begrenzten Ressourcen.


Mein Fazit

Nach meinem Besuch im Apodo-Zentrum in Siem Reap bin ich um hochinteressante Erkenntnisse und Erfahrungen reicher geworden.

Wie wir gelernt haben, ist hierbei der Einsatz von Ratten nicht nur effektiv und nachhaltig, sondern auch kostengünstig.  Übrigens arbeiten die auf Landminen spezialisierten Ratten vier bis fünf Jahre auf Minenfeldern, bevor sie schließlich in den “Ruhestand” geschickt werden. Das haben sich sich nach ihrem vorbildlichen Einsatz sicherlich auch redlich verdient.

Insgesamt leistet die Organisation Apopo mit der intensiven Ausbildung und dem unermüdlichen Einsatz ihrer “Hero Rats” einen wichtigen Beitrag zur langfristigen Sicherheit in gefährlichen Minen-Gebieten. Hochachtung vor dem Team, und vor allem auch vor den kleinen Helfern!


© Text & Fotos: Nathalie Gütermann


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