Angkor Thom: Der ‘Gesichtstempel’ Bayon

❂ Der Bayon Tempel mit seinen mystischen Steingesichtern gehört zu Angkor Thom, einer historisch bedeutsamen Stadt in Kambodscha. ❂ Unweit von Angkor Wat gelegen, war dies die letzte und größte Hauptstadt des Khmer-Reiches. Während der Blütezeit zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert wurde dieser überaus originelle Bayon-Tempel erbaut – das Zentralheiligtum von Angkor Thom.

Der ‘Bayon’ in der kambodschanischen Provinz Siem Reap ist neben Angkor Wat und dem durch den Spielfilm “Tumb Raider” bekannte Ta Prohm Tempel die dritte herausragende Tempelanlage in Angkor. Alle drei Heiligtümer sind ein “Muss”, wenn man eine Besichtigungstour durch das antike Reich der Khmer plant.

Bayons Bekanntheit gründet sich insbesondere auf die imposanten Türme, die mit meterhohen, aus Stein gemeißelten Gesichtern verziert sind. Deshalb nennt man sie auch die “Lächelnde Türme von Angkor”!

Seit 1992 wird der Bayon, als Teil von Angkor, auf der Weltkulturerbe-Liste der UNESCO geführt.


Die Geschichte von Angkor Thom

Was ist der Unterschied zwischen Angkor Wat und Angkor Thom? Das wird sich jetzt vielleicht der ein oder andere Leser fragen.

Nun, bei beiden Tempelanlagen handelt es sich um die archäologisch bedeutsamsten Stätten in Angkor. Allerdings unterscheiden sie sich in Bezug auf ihre Geschichte und Architektur.

Hier sind die Hauptunterschiede: Angkor Wat war einst der größte Hindu-Tempel der Welt. Er wurde im frühen 12. Jahrhundert während der Herrschaft von König Suryavarman II. erbaut. Die imposante Architektur umfasst einen zentralen Tempelturm mit fünf Türmen und kunstvoll gestalteten Reliefs, wie wir in diesen Bericht im Detail beschrieben haben: Angkor Wat: Meisterwerk des Khmer-Reichs.

Angkor Thom hingegen ist keine Tempelanlage, sondern eine antike Stadt, die einst von einer 12 Kilometer langen massiven Mauer umgeben war.

Angkor Thom wurde im späten 12. Jahrhundert unter der Regentschaft von König Jayavarman VII. errichtet, und zwar als neue und letzte Hauptstadt von Angkor. Tatsächlich war sie damals die größte Stadt des Khmer-Reichs. Während Angkor Wat, wie erwähnt, als eigenständiger Tempelkomplex konzipiert wurde, umfasste die weitläufige Stadtanlage von Angkor Thom zahlreiche Terrassen, Tempel und diverse Stadttore.


Südtor von Angkor Thom

Unsere Bayon-Exkursion beginnt am “South Gate of Angkor Thom”. Das 23 Meter hohe und perfekt erhaltene Südtor ist eines von fünf Toren, die Zugang zur Stadt ermöglichten.

Der Weg zum Gate ist von Steinfiguren gesäumt, den sogenannten “Devas” und “Asuras”, die eine mythologische Szene aus der hinduistischen Mythologie darstellen. Insofern diente das Südtor nicht nur als Haupteingang zu Angkor Thom, sondern hatte auch eine symbolische und spirituelle Bedeutung.

Und plötzlich – passend zur Szenerie – läuft uns dieser Elefant ins Bild. Ein höchst ungewöhnlicher Anblick, denn die Hautfarbe dieses Tieres ist besonders dunkel. Schwarze Elefanten gelten als ganz besonders selten. Auch ihre weißen Verwandten (“White Elephant”) sind nicht allzu oft zu finden. Beide gelten als Symbol für Glück, Frieden und Wohlstand.

Wer sich dem Südtor nährt, auch als “Torbogen der Gesichter” bekannt, bekommt bereits einen Vorgeschmack auf das, was uns am Bayontempel erwartet. Sehen Sie das gigantische Gesicht im Zentrum des Mauerwerks? Gleich werden wir Hunderte Reliefs mit diesem rätselhaften Antlitz sehen!

Der Weg durch das Tor führt uns in das Innere der alten Stadt mit ihren vielen Ruinen. Von dem einst prächtigen königliche Palast sind nur noch wenige Überreste und ein paar beschädigte Skulpturen sichtbar.


Zerstörung & Wiederauferstehung

Vergessen wir nicht, dass viel Tragisches seit der Erbauung geschehen ist. Die Leiden der Jahrhunderte gingen auch an Kambodscha nicht spurlos vorüber. Der Erste und Zweite Weltkrieg brachte ebenso Unheil über die Welt wie später – im asiatischen Raum – der Indochinakrieg und der auf Kambodscha übergreifende Vietnamkrieg.

Sämtliche archäologischen Arbeiten wurden unterbrochen.

Schließlich gipfelte das Leid des bereits gebeutelten Landes in der Machtergreifung der Roten Khmer. Nach dem 15. Jahrhundert, als das Khmer-Reich vom aufstrebenden thailändischen Königreich Ayutthaya besiegt und Angkor aufgegeben wurde, gerieten außer Angkor Wat auch Angkor Thom – und somit der Bayon-Tempel – weitgehend in Vergessenheit.

Obwohl das Gebiet von Angkor weiterhin besiedelt und landwirtschaftlich genutzt wurde, wurden die meisten Tempel kaum noch frequentiert und zum Teil von üppigem tropischem Wald überwuchert – wie schon im Bericht über Angkor Wat ausführlich beschrieben.

Dann endlich die große Wende. Sämtliche Tempelanlagen, die im Schatten der Geschichte dahinvegetierten, wurden von Naturforschern wie Henri Mouhot aufgespürt und weitgehend freigelegt.

Seit den späten 1980er Jahren haben die Behörden begonnen, auch den gesamten Bayon-Tempel inklusive Säulengänge, Skulpturen und  unschätzbar wertvollen Reliefs umfassend zu restaurieren. Das ist das beeindruckende Ergebnis…!


Kostbare Steinmetzarbeiten

Unser Tipp: Lassen Sie nicht nur den Gesamteindruck des Bayon auf sich wirken, sondern nehmen Sie sich Zeit und “studieren” Sie auch die wahrlich spektakulären, unglaublich fein gearbeiteten Stein-Reliefs. Man findet sie auf sämtlichen Wänden innerhalb des zentralen Tempelbergs.

Auf der äußeren Galerie finden sich visuelle Erzählungen aus der Khmer-Ära, zum Beispiel Kampfszenen aus dem Krieg gegen die Cham (einem östlich gelegenen Nachbarreich im heutigen südlichen Vietnam) sowie Alltagsbilder aus dem Leben des Königs und der Bewohner der Stadt Angkor Thom.

Auf den Reliefs der inneren Galerie entdeckt man neben weiteren Illustrationen historischer Ereignisse auch Darstellungen aus der hinduistischen Mythologie.

Das damalige Leben der Bevölkerung im Khmer-Reich wurde nachhaltig in Stein gemeißelt und ist somit eines der wichtigsten Zeugnisse einer längst vergangenen Periode.

Diese “Bildergeschichten” kann sogar jeder Analphabet verstehen.


Terrasse der Elefanten

Skulpturentechnisch ebenfalls interessant: die Treppen und Brüstungen, die die “Terrace of the Elephants” umgeben. Das Highlight hier sind die Skulpturen und Reliefdarstellungen von Elefanten, Kriegsszenen und königlichen Prozessionen.

Auf der Oberfläche der Terrasse, sind noch die Löcher für die grossen Sonnenschirme zu erkennen. Diese wurden aufgestellt, wenn der König einer Zeremonie beiwohnte. Die Elefanten wurden von Dienern und Fürsten geritten.


Bayons Gesichtstempel

Wer sich den Bayon näher ansieht, befindet sich gewissermaßen im Antlitz der Antike. Der Tempel, der wie beim Angkor Wat den heiligen Berg Meru symbolisiert, besteht aus zwei quadratischen Galerien. Aus der Ferne wirkt der Bayon zunächst wie ein verwirrendes Gebirge.

Doch die imposanten, 20 Meter hohen Türme werden, sobald man vor ihnen steht, zu einem großartigen Gesamtkunstwerk. Um es ganz genau zu sagen: Auf den Türmen wurden rund 200 bis zu 7 Meter hohe Bildnisse in den Stein gehauen – nämlich rätselhaft lächelnde Gesichter, deren Blick in alle vier Himmelsrichtungen schweift.

Als Besucher fühlt man sich jedenfalls ständig beobachtet, und man fragt sich: “Ist es ein göttliches Lächeln, was einem hier zuteil wird? Und wen stellen diese Gesichter eigentlich dar”? Bis zum heutigen Tage gibt es keine eindeutige Antwort auf die Frage, wen oder was die mystisch wirkenden Gesichter repräsentieren. Das Antlitz des Buddha ist es jedenfalls nicht!

Diversen Glaubensrichtungen zufolge wird angenommen, dass die “Turm-Gesichter” den Bodhisattva Avalokiteshvara repräsentieren könnten. Dies ist eine Art Erleuchtungswesen, das im Buddhismus als Symbol des Mitgefühls gilt.

Andere Interpretationen sehen in den kraftvollen Gesichtern eine Darstellung des Königs Jayavarman VII. selbst, dem Erbauer des Bayon-Tempels.

Doch nichts Genaues weiß man eben nicht, und so bleibt die Deutung der Gesichter weiterhin Gegenstand von Spekulationen und Interpretationen.


Narben der Vergangenheit

Ursprünglich standen 49 Gesichtstürme im Bayon-Komplex. Heute sind immerhin noch 37 von ihnen erhalten.

Wir jedenfalls sind dankbar für das, was wir hier besichtigen dürfen. Inmitten der zerrissenen Ära voller Kriege, politischem Wandel und Machtübernahmen in Kambodscha, ermöglicht es der öffentlich zugängliche Tempelkomplex den heutigen Besuchern, zumindest einen kleinen Eindruck von der ehemals glamourösen Stadt Angkor Thom zu bekommen.

Bayons Wiederkehr aus der Versenkung ist – ebenso wie Angkor Wat, Ta Phrom und andere Tempelanlagen in Angkor – für Kulturliebhaber ein echter Glücksfall. Denn alle sind aus dem Schatten der Geschichte ins Licht der Neuzeit getreten. 


© Text & Fotos: Nathalie Gütermann & Jörg Baston


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