Artisans d’Angkor: Atelier-Besuch in Siem Reap

❂ In den Werkstätten der Artisans d’ Angkor entstehen khmerische Meisterwerke  – und man kann dabei zusehen! ❂ Tatsächlich ist ein Besuch der bedeutendsten Ateliers in Kambodscha ein Highlight, wenn man in Siem Reap Urlaub macht und die wichtigsten Tempel schon gesehen hat. Es ist unglaublich faszinierend, den Kunsthandwerkern über die Schulter zu schauen, das ein oder andere Stück vor Ort günstig zu erstehen und dabei Gutes zu tun…

“Artisans d’Angkor” ist ein soziales Unternehmen in Siem Reap , das jungen Menschen aus ärmlichen, abgelegenen Regionen Beschäftigungs- und Verdienstmöglichkeiten anbietet. Seit ihrer Gründung hat sich diese bemerkenswerte Organisation der Bewahrung und Förderung traditioneller khmerischer Handwerkskunst verschrieben. Und zwar auf höchstem Qualitätsniveau.


Traurige Ursprünge

Kambodscha ist maßgeblich von der jüngeren Geschichte des Landes geprägt, das von Krieg und menschlichem Leid gezeichnet ist. Kurzer Exkurs in die Historie: Während des Vietnamkriegs wurde Kambodscha stark von den USA bombardiert. Anschließend wurde das Land von 1975 bis 1979 vom Schreckensregime der Roten Khmer beherrscht, was zu einem Verlust von etwa 25 Prozent der Bevölkerung führte. Auch die Infrastruktur wurde in dieser Zeit fast vollständig zerstört…,

… und bis heute sehen viele Straßen noch weitgehend so aus.

Die “Artisans d’Angkor” wurden 1992, kurz nach dem Ende des Bürgerkriegs, gegründet. Das Hauptziel der Organisation besteht darin, die traditionellen Handwerkskünste zu bewahren, die während der Roten Khmer-Ära stark gelitten hatten oder gar vollständig eingestellt wurden.

2003 wurde “Artisans d’Angkor” mit der Unterstützung der Französischen Agentur für Entwicklung ein unabhängiges Unternehmen. Der Gewinn wird vollständig in Sozialprojekte, Trainingsprogramme oder neue Arbeitsstätten investiert.

Besucher können in den öffentlich zugänglichen Werkstätten in Siem Reap die uralten Techniken bewundern, die dort nach Jahren des Stillstandes wieder angewendet werden: Holzschnitzerei, Seidenweberei, Töpferei, Lackarbeiten, Metallbearbeitung und Steinmetzarbeiten.

Insgesamt sind bei den Artisans d’ Angkor rund 1000 Handwerker beschäftigt. Das Unternehmen bezahlt einen höheren Lohn als die Durchschnittslöhne im Sektor und bietet ihren Angestellten auch kostenfreien Zugang zur medizinischen Versorgung, eine Krankenversicherung und zusätzliche Sozialleistungen.


Ausbildung & Training

Ein zentraler Aspekt der Aktivitäten von Artisans d’Angkor ist die Berufsausbildung. Die Firma hat ihr eigenes Trainingsprogramm im Handwerkssektor entwickelt und bietet Kambodschanern von 18 bis 25 Jahren eine kostenlose Ausbildung in den firmeneigenen Ateliers.

Die Bewerber müssen zunächst mehrere manuelle Tests und Motivationstests bestehen, gefolgt von einer Ausbildungszeit an der Werkbank zwischen 6 und 9 Monaten. Am Ende dieser Ausbildung wird ihnen der begehrte Titel “Kunsthandwerker” verliehen.

Nach erfolgreichem Abschluss können die jungen Leute, die meist aus ärmlichen ländlichen Gegenden stammen, den Artisans d’Angkor beitreten. Dort wird ihnen ein Arbeitsplatz garantiert, denn die Organisation gehört mittlerweile zu den größten Arbeitgebern in Siem Reap.

Diese Ausbildungsmöglichkeiten schaffen nicht nur interessante Erwerbsmöglichkeiten für die lokale Bevölkerung, sondern sie dienen auch der Bewahrung des kulturellen Erbes.

Nachhaltigkeit steht ebenfalls im Fokus der Artisans d’Angkor. Die Organisation fördert faire Arbeitsbedingungen und setzt auf umweltfreundliche Materialien.

Die Besucherzentren ermöglichen es Touristen, die Handwerkskünstler bei ihrer Arbeit zu beobachten. Darauf werde ich gleich näher eingehen. Im Anschluss an den Rundgang können Sie in schön gestalteten Showrooms die handgefertigten, traumhaft schönen Produkte kaufen.

Somit tragen auch Sie dazu bei, dass die Arbeiter langfristig ein stabiles Einkommen und einen sicheren Arbeitsplatz haben.

Skulpturen, Schmuck, Seidentextilien, Wohnaccessoires und Silberwaren – hier findet sicherlich jeder ein hübsches Souvenir. Und das zu einem wesentlich günstigeren Preis als in den offiziellen Geschäften im Stadtzentrum, rund um den Tempelkomplex Angkor Wat oder am Flughafen.


Atelierbesuch bei den Artisans

Zwei Werkstätten sind öffentlich zugänglich. Die auf Seide spezialisierte Werkstatt befindet sich etwa 15 Minuten außerhalb der Hauptstadt im Bezirk Puok.

Die andere, auf Handwerk fokussierte Werkstatt befindet sich in der Stung Thmey Straße im Herzen von Siem Reap. Siehe Infobox! Beide Handwerkszentren sind täglich (außer Sonntags) für Touristen geöffnet; eine Voranmeldung ist nicht nötig.

Wir empfehlen, insgesamt mindestens einen halben Tag für diese beiden Besichtigungen einzurechnen.


Die Angkor Seidenfarm

Wir beginnen unseren Ausflug in den Ateliers der Seidenweber. Ich selbst stamme ja, wie Sie vielleicht wissen, aus einer deutschen Nähseidendynastie und weiß natürlich, wie Seide entsteht. Aber den Prozess Schritt für Schritt und mit eigenen Augen zu erleben, ist auch für mich nach wie vor faszinierend.

Tipp: Es lohnt sich unbedingt, an den kostenlosen Vorträgen teilzunehmen. Dort erfährt man alles Wissenswerte über die Organisation und über die Wiederbelebung des kambodschanischen Handwerks. In diesem Fall über die Seidenherstellung: Vom Seidenkokon bis zum fertigen Produkt!

Ich finde die einzelnen Produktionsschritte, nämlich von der Seidenraupenzucht über die Seidenspinnerei und Weberei bis hin zum Verkauf des Endproduktes derart spannend, dass ich eine eigene Fotogalerie zusammengestellt habe. ⇒ Coming soon!


Das Khmer Kunsthandwerk

Besonders beeindruckend ist der Besuch in den Ateliers der Holzschnitzer. Die Kunstform des “Wood Carving” hat eine lange Geschichte und ist eng mit der Khmer-Kultur verbunden. Hier nur ein paar Eindrücke von unserem Rundgang.


Schnitzkunst auf Holz

In der Khmer-Kunstschnitzerei werden oft kunstvolle Muster und religiöse Szenen aus der buddhistischen und hinduistischen Mythologie in Holz geschnitzt.

Zunächst werden die Motive gezeichnet…

… und danach 1:1 auf die Schnitzfläche übertragen. Dann beginnt die eigentliche Arbeit.

Abgesehen von einzelnen Figuren werden hier sogar regelrechte “Holzbilder” produziert – manchmal auf einem einzigen Stück Hartholz.

Zur Anwendung kommt vor allem Teak, das aufgrund seiner Härte, Beständigkeit gegenüber Insekten und seiner schönen Maserung ein beliebtes Holz für Schnitzarbeiten ist. Aber auch Rosenholz und Mahagoni werden hier verarbeitet.


Schnitzkunst auf Stein

Wesentlich schwieriger ist die Arbeit auf Stein. Der Beginn des kreativen Prozesses liegt in der qualitativen Auswahl des passenden Sand- oder Lavasteins.

Vor dem eigentlichen Schnitzvorgang erfolgt die Planung und der Entwurf des Kunstwerks. Die eigentliche Arbeit erfolgt manuell unter Verwendung von Werkzeugen wie Meißeln, Hämmer und Sägen.

Die Techniken variieren, je nach Zieldesign, von feinen Details bis zu gröberen Strukturen.

Nach der groben Formgebung erfolgt der Feinschliff, bei dem die Details verfeinert und die Oberflächen mit Schleifpapier geglättet wird, bis die gewünschte Textur erreicht wird.

Anschließend erfolgt die Veredelung des Steins, die das Polieren der Oberfläche, das Hinzufügen von Farbe oder anderen dekorativen Elementen beinhaltet. Die Auswahl dieser Elemente hängt vom Design und den künstlerischen Vorstellungen ab.

Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Qualitätskontrolle, bei der die Kunstwerke auf Präzision, Ästhetik und kulturelle Authentizität überprüft werden. Nur Werke, die den hohen Standards von Artisans d’Angkor entsprechen, gehen in den Verkauf.

Übrigens: Im Hauptgebäude von Artisans Angkor können Besucher auch an Handwerkskursen teilnehmen. Na, trauen Sie sich, ihr Lieblingsmotiv in Stein zu meisseln? Hier werden Sie merken, wie schwer das ist!

“Do it yourself!” Zunächst kann man einige Skizzen nach den Vorbildern der Kunsthandwerker anfertigen. Anschließend können Sie Ihrer Kreativität auf einem Speckstein freien Lauf lassen. Zur Erinnerug können Sie Ihre Zeichungen und den bearbeiteten Stein dann mit nach Hause nehmen.

Die Steinmetze nutzen uralte traditionelle Techniken, um detaillierte und besonders fein gearbeitete Szenen aus Stein zu schaffen, die später auch in den Tempeln der Gegend Verwendung finden.

Bei den Artisans d’Angkor besonders beliebt: “Apsaras” und “Devatas”, jene mythologische Wesen aus der hinduistischen Mythologie, die als göttliche Wesen und himmlische Tänzerinnen dargestellt werden. Den Devatas (Lichtwesen) untergeordnet sind “Deva” (Gott) und “Devi” (Göttin) – hier auf dem Foto unten zu sehen.

Apsaras und Devatas sind für ihre außergewöhnliche Schönheit, Eleganz und Anmut bekannt. Während Apsaras meist als Tänzerinnen dargestellt werden, die in Indras Himmel tanzen, sind Devatas in der Regel stehend abgebildet und halten eine Lostusblume in der Hand. Die meisten Tempel in der Region von Angkor, die während des 11. bis 12. Jahrhundert unter König Jayavarman VII. erbaut wurden, verfügen über solche Steinmetzarbeiten.

Übrigens tragen die Artisans d’Angkor auch nachhaltig zur Erhaltung der antiken Reliefs bei. Schon seit Jahrzehnten werden die “Stein-Künstler” beauftragt, wenn es um die Ausbesserung oder Komplett-Restaurierung von historischen Figuren in den Angkor-Tempeln geht.  Zuletzt haben die Steinmetze drei schwer beschädigte Sandsteinlöwen auf der “Terrasse der Elefanten” in Angkor Thom reproduziert.


UNESCO-Auszeichnungen

Die gemeinnützige Organisation hat seit ihrer Gründung zahlreiche Auszeichnungen für besondere handwerkliche Fähigkeiten in Süd- und Südostasien gewonnen.

So hat unter anderem die UNESCO den Artisans d’Angkor den “Seal of Excellence for Handicrafts” verliehen – ein Gütesiegel für Kunsthandwerk.

Zugleich wurde den Handwerkern bescheinigt, dass ihre Produkte “sehr hohen Qualitätsstandards entsprechen, innovativ und kulturell authentisch sind, sowie sozial und ökologisch verantwortungsvoll produziert werden”.


Von der Werkbank zum Shop

Die von Artisans d’Angkor hergestellten Produkte werden direkt vor Ort in einem Showroom nahe den Werkstätten verkauft. Darunter auch extrem hochwertige Reproduktionen von antiken Tempel-Szenen, die fast schon Museumsqualität aufweisen. Auf Wunsch werden sie in die Heimat der Besucher verschickt, inklusive Zertifikat und Zollformalitäten.

Hier links im Bild: Ein König im Kampf mit einem Löwen. Rechts: das Flachrelief einer Devi (“Halbgöttin”). Wir haben dieses “überirdische Wesen” bereits beim Atelier-Rundgang in äußerst “irdischen”, da noch halbfertigem Zustand entdeckt!

Im Foto unten: eine “Polyochrome Statue”, die mehrere Musiker der antiken Angkor Ära darstellt.

Als Polychromie wird die in Malerei, Kunsthandwerk und Baukunst angewendete Vielfarbigkeit bezeichnet. Dieses gute Stück wurde von einem Relief im historischen Bayon Tempel inspiriert, das sich in der inneren Galerie des Heiligtums in Angkor Thom befindet. Natürlich kann man im Shop der Artisans auch kleine Buddhas oder andere spirtuelle Figuren kaufen. Diese sind nicht antik, daher kann man sie im Flieger mitnehmen.

Wir haben während unseres Besuchs einige Deko-Stücke erworben, denn so viele schöne landestypische Produkte findet man nirgendwo in Kambodscha unter einem Dach.

Übrigens gehören in Kambodscha – ähnlich wie in Vietnam – auch hübsche Lackarbeiten zum Repertoire der Kunsthandwerker. Ein herausragendes Merkmal der Lackarbeiten ist die Verwendung von Inkrustationstechniken.

Hierbei werden zusätzliche Materialien wie Goldblatt, Silber oder Perlmutt in den Lack eingelegt, um kunstvolle Verzierungen und Textur hinzuzufügen. Diese aufwendigen Details verleihen den Kunstwerken eine besondere ästhetische Tiefe.

Und wie eingangs erwähnt: Sie tun der Gemeinschaft etwas Gutes, wenn Sie hier einkaufen. Denn der Verkauf dieser Produkte unterstützt die Organisation dabei, einen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung sowie zur Armutsbekämpfung in der Region zu leisten.

Insgesamt haben sich die Artisans d’Angkor mit ihren Werkstätten und eleganten Shops zu einer bedeutenden Institution entwickelt, die nicht nur die kulturelle Identität Kambodschas bewahrt, sondern auch positive Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der lokalen Bevölkerung hat.

Ich hoffe, Ihnen hat der Blick hinter die Kulissen dieser Organisation gefallen!


©  Text & Fotos: Nathalie Gütermann


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Information

Adresse der Artisans d’ Angkor in Kambodscha

Kunsthandwerk: Stung Thmey Street, Old Market in Siem Reap UND die Angkor Seidenfarm im Bezirk Puok, ca. eine Viertelstunde außerhalb von Siem Reap. Jeder Taxi- oder Tuk Tuk-Fahrer kennt den Weg dorthin.

Wir, vom Asien-Lifestyle-Team unternehmen unsere Exkursionen immer auf eigene Faust. Damit sind wir zeitlich unabhängig. Sie können aber auch über Ihr Hotel oder diverse Onlineagenturen eine Halbtagestour buchen.

Öffnungszeiten (außer So): 09:00 bis 18:00 Uhr.
Info-Telefon: +855 95 200 774, Facebook