Bikaner: Wüstenstadt & Rattentempel

❂ Bikaner liegt zwischen Sanddünen, Burgen und Schlössern im nordwestlichen Teil von Rajasthan. ❂ Die Wüstenlandschaft, die die Stadt umgibt, verleiht dieser Region eine einzigartige Aura. Der Besuch des berühmten Junagarh-Fort ist ebenso ein Highlight wie der in der Nähe befindliche Rattentempel. Begleiten Sie uns jetzt auf unserer kulturellen Expedition zu mystischen Tempeln, mächtigen Festungen und prächtigen indischen Palästen, die sich wie eine Fata Morgana in der Wüste Thar erheben.

Bikaner wurde im Jahr 1488 von Rao Bika, einem Prinzen des mächtigen Rathore-Clans, gegründet. Diese Dynastie spielte eine entscheidende Rolle in der Geschichte von ganz Rajasthan, denn Rao Bika war der Sohn von Rao Jodha, dem Gründer von Jodhpur – eine Traumstadt, über die wir hier separat berichten.

Im Laufe der Jahrhunderte wurde Bikaner von verschiedenen Herrschern regiert, und während der Kolonialzeit spielten auch die Briten eine gewisse Rolle.

Allerdings sah deren Macht im Vergleich zu anderen Teilen des Landes etwas anders aus, denn im Fall von Bikaner war die Beziehung zwischen dem gleichnamigen Staat und den Briten im Wesentlichen von einem Schutzvertrag geprägt. Dies bedeutete, dass Bikaner formell ein Vasallenstaat des Britischen Empires war, wobei jedoch die indischen Herrscher eine gewisse Kontrolle über die innere Verwaltung behielten.

Hier ein Blick in den gepflegten Park der Junagarh Festung (“Anup Mahal”).  Er trägt maßgeblich zur Schönheit des gesamten Komplexes bei, und genau hier beginnen wir unsere Besichtigung.


Das Junagarh Fort

Das Fort, zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert erbaut, ist eine Mischung aus verschiedenen Baustilen. Darunter Rajputana, Mughal, Gujarati und britische Architektur. Die gesamte Anlage spiegelt die künstlerische Finesse und die strategischen Überlegungen wider, die während ihrer verschiedenen Bauphasen eine Rolle spielten.

So ist zum Beispiel die mit rotem Sandstein gebaute Fassade der Zitadelle von erkerartigen Fenstern geprägt, den sogenannten “Jharokhas”.

Diese dienten nicht nur dekorativen Zwecken, sondern ermöglichten damals auch eine gute Belüftung der Innenräume. Zudem wurden sie von den Bewohnern als wichtige Aussichtspunkte genutzt, um mögliche Gefahren frühzeitig zu erkennen.

Die Mauerspitzen und Türme sind mit Zinnen geschmückt. Zinnen sind charakteristische Elemente der rajputischen Architektur, denn sie verleihen jedem Herrschaftssitz ein majestätisches Aussehen.

Hier ein besonders schönes Beispiel für die Mogul-Architektur mit verschiedenen Chhatris. Hierbei handelt es sich um kleine, seitlich offene Pavillons mit einer von vier oder mehreren Säulen getragenen Kuppel. Zierleisten und dekorative Elemente betonen die horizontalen und vertikalen Linien der Architektur.


Die Junagarh Paläste

Im Inneren des Forts gibt es verschiedene Paläste wie den Anup Mihal (Wolkenpalast), Phool Mahal, Ganga Mahal und Karan Mahal – die Audienzhalle. Dieser Raum spielte eine zentrale Rolle in den zeremoniellen und administrativen Funktionen des Hofes und ist ganz besonders prächtig, denn er ist über und über mit kleinen Plättchen aus purem Gold übersät.

Da die Paläste von verschiedenen Herrschern zu unterschiedlichen Zeiten errichtetet wurden, hat jeder dieser Paläste seine eigenen einzigartigen architektonischen Details. Diese umfassen aufwändig gestaltete Innenhöfe, Balkone, Erkerfenster und kunstvoll verzierte Säulen.

Außerdem treffen wir auf unserem Rundgang auf wunderschöne Wandmalereien…

…sowie Marmorverkleidungen, bunte Mosaiken und fantastische Schnitzereien. Man betrachte nur mal diese Fensterverzierung. Die  perfekten Handarbeiten, die in den Palästen von Bikaner und anderen historischen Stätten in Indien zu finden sind, wurden von hoch qualifizierten Kunsthandwerkern ausgeführt, die es heute nicht mehr gibt.

Diese Fachleute beherrschten ihre Fertigkeiten über Generationen hinweg. Leisten konnten sich diese Aufträge nur die königlichen Höfe oder wohlhabende Eliten, die bereit waren, erhebliche Ressourcen in die Gestaltung und Dekoration ihrer Paläste zu investieren.

Ein weiteres Beispiel für den prunkvollen Lebensstil der damaligen Herrscher ist die Lounge-Schaukel im Blumenpalast Phool Mahal”. 


Das Palast-Museum

Ein Teil des Forts wurde in ein Palastmuseum umgewandelt und erinnert an das glanzvolle Leben der Rathore-Maharajas. Es verfügt über eine hervorragende Sammlung von Waffen, Rüstungen und mit wertvollen Edelsteinen, Gold und Elfenbein besetzten Schwertern.

Überdies kann man verschiedene Gemälde, Möbel, Luxusartikel, Rüstungen und Kostüme der ehemaligen Könige und Königinnen von Bikaner bewundern.

Auffällig ist hier das Sonnensymbol, das sich oft wiederholt. Symbole dieser Art spielten eine wichtige Rolle, um die Identität und den Status eines Ritters oder eines königlichen Mitglieds darzustellen.

Ein Ritter, der das Sonnensymbol auf seiner Rüstung trug, konnte damit seine Loyalität gegenüber seinem König ausdrücken. Außerdem steht die Sonne für Licht und Ehre. In diesem Kontext repräsentierte sie Tugenden wie Tapferkeit, Loyalität und edles Verhalten im Kampf.

Interessant ist dieses “Fakirbett”. Einige Fakire praktizierten extreme Formen der Entsagung und Selbstkasteiung. So legten sie sich ganz bewusst auf ein mit Nägeln oder spitzen Metallstiften ausgeschlagenes Brett als Mittel zur spirituellen Erleuchtung. Hier ein Fakir-Foto um 1907.


Heritage Hotel “Lallgarh Palace”

Der Palast, der von der “Royal Family of Bikaner” in Auftrag gegeben wurde, ist ein herausragendes Beispiel für die indo-sarazenische Architektur. Es ist ein beeindruckender Mix aus Rajput-, Mughal- und europäischen Einflüssen.

Bikaner hatte sich im Laufe von vier Jahrhunderten zu einem bedeutenden Staat entwickelt, doch sein bemerkenswertester Herrscher war Maharaja Ganga Singh, der den Thron 1887 im Alter von sieben Jahren bestieg und bis 1943 regierte.

Der Lallgarh-Palast wurde im frühen 20. Jahrhundert als Residenz des Maharadschas Ganga Singh aus rotem Sandstein und Marmor gebaut.

Die Architektur des Palastes zeichnet sich aus durch aufwendige Schnitzereien, filigrane Gitterarbeiten, Bögen und Kuppeln.

Heute wird der Lallgarh Palace als luxuriöses Heritage Hotel genutzt und bietet Gästen die Möglichkeit, sich ein wenig im Glanz der ehemaligen Maharadscha-Dynastien zu sonnen.


National Research Centre on Camel


Unser Tipp für alle, die mehr über die Tiere des Landes lernen wollen. Besuchen Sie das staatliche „National Research Centre on Camel“ (NRCC). Hier werden Kamele bzw. Dromedare gezüchtet und ihre Eigenheiten erforscht.

Im Schnitt befinden sich rund 360 Tiere auf dem Areal. Die Tiere werden geschlechtermäßig getrennt, wobei nur relativ wenige Hengste gehalten werden. Insgesamt werden 4 verschiedene Rassen gezüchtet, von denen die Bikaneri (Lasttiere) mit ihrer dunklen Farbe und der starken Behaarung am meisten auffallen.

Außer den universell einsetzbaren Dromedaren werden hier auch Renndromedare sowie Kamele für den Einsatz in der Indischen Armee gezüchtet. Wir empfehlen einen Besuch des NRCC am späten Nachmittag.  Denn meist bekommt man die Herde erst bei Sonnenuntergang zu sehen, wenn die Tiere nach einem langen Tag in der Wüste Thar heimkehren.


Exkursion zum “Rattentempel” in Deshnoke

Der ca. 600 Jahre alte Karni Mata Tempel, auch bekannt als “Rattentempel”, ist ein einmaliger hinduistischer Tempel in Deshnoke, etwa 30 Kilometer südlich von Bikaner.

Er ist aus cremefarbenen Marmor im traditionellen Rajput-Stil erbaut worden. Besonders schön finden wir die Torbögen am Eingang…,

… die mit Schnitzereien aus wertvollem weißen Marmor belegt sind.

Und natürlich findet man überall auch Darstellungen der heiligen Ratten.


Ratten als Glücksbringer

Im Karni Mata Rattentempel, der der hinduistischen Göttin Karni Mata gewidmet ist, gelten die Tempelratten als heilig – allerdings nur die Tiere innerhalb der Mauern.

Man nennt sie “Kabbas”, und es wird als glücksbringend angesehen, wenn eine braune Ratte über die nackten Füße des Besuchers läuft.

Der Tempel ist Heimat für geschätzte 20.000 Ratten, die gepflegt und gefüttert werden. Einheimische kommen hierher, um den Vierbeinern Milch und Futter zu geben.

Manche Menschen trinken sogar gemeinsam mit ihnen aus einer Schale und sitzen stundenlang in den Ecken, um vielleicht eine der seltenen weißen Nager zu Gesicht zu bekommen. Denn weiße Ratten sollen ganz besonders viel Glück bringen – ähnlich wie der weiße Elefant in Thailand.

Hinweis: Die Tradition verlangt es, dass man beim Betreten des Tempels die Schuhe auszieht.

Wir Westler finden das schon irgendwie eklig. Zum Glück macht man für die (relativ wenigen) Touristen eine Ausnahme: Wir dürfen unsere Socken anbehalten – wenn man denn bei der Hitze überhaupt welche trägt…

Zurück zum indischen Glauben und zur hochverehrten namensgebenden Göttin. Karni Mata wird als Beschützerin der Wüste und der Menschen betrachtet. Hier eine Abbildung von ihr auf der silber verzierten Eingangstür.

Die Einheimischen glauben, dass die zahlreichen Ratten im Tempel wiedergeborene Mitmenschen sind, die es mit Speisen und Gebeten zu würdigen gilt.


Karni Mata Fest

Der Feierlichkeiten, die meist Ende März oder im April stattfinden, locken viele Pilger nach Deshnoke.

Wir sind gerade vor Ort, als das Fest stattfindet. Auffallend ist die andächtige Stimmung der Menschen, die aus religiösen Gründen hier sind. Viele versuchen im Rattentempel einen Schicksalsschlag zu bewältigen, oder beten, um aus einer Notlage zu entkommen. Alle erhoffen sich nach dem Besuch ein besseres Leben.

Im Inneren des Tempels, das als das Allerheiligste gilt, stehen diverse Schreine und eine Statue zu Ehren von Karni Mata und anderen Gottheiten. Der Hauptaltar ist besonders prächtig und mit Silber und Gold verziert.

Dieser heiligen Stelle darf man sich als Tourist nicht nähern; dies ist nur den Hindi erlaubt. Oft werden hier auch Hochzeiten zelebriert.

Die äußeren Gänge des Tempels sind für “Fremde” jedoch geöffnet, und  fotografieren dürfen wir auch. Allerdings ist es wichtig, gegenüber den Gläubigen Respekt zu bewahren und nicht einfach drauf los zu knipsen. Denn dies ist nun mal ein heiliger Ort für die indische Bevölkerung.


Unser Fazit

Dass dieser Tempel nichts für Hygienefreaks und schwache Nerven ist, ist wohl offensichtlich! Viele würden vermutlich nicht einmal mit einer Desinfektionsflasche in der Hand diesen Ort betreten.

Wenn man allerdings – wie wir – schon länger in Rajasthan unterwegs ist und sich schon ein wenig mit dieser faszinierenden Kultur und auch mit den vorherrschenden hygienischen Verhältnissen vertraut gemacht hat, der ist einfach zu neugierig, um draußen zu bleiben.

Und warum sollen sich die kleinen Viecher ausgerechnet über uns hermachen – bei all den anderen Menschen um uns herum? Also haben wir uns als die einzigen Touristen unter lauter einheimische Gläubige gemischt.

Tatsache ist: Die Ratten nahmen uns kaum zur Kenntnis, obwohl sie bis auf einen Meter an unseren Füßen vorbeiliefen. Grundsätzlich empfanden wir die Atmosphäre im Innern des Rattentempels unbeschreiblich eindrucksvoll und geradezu magisch – eben wie in den meisten indischen Tempeln. Und, ich gebe es zu: nach dem Besuch fühlten wir uns schon ein wenig heroisch!.

Wie bemerkte schon John Steinbeck. “Menschen unternehmen keine Abenteuer, die Abenteuer nehmen sich der Menschen an”.


© Text und Fotos: Jörg Baston. Redaktion: Nathalie Gütermann


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