Dhau-Werft in Sur: Maritime Meisterwerke

Dhaus gehören zur omanischen Seefahrerkultur wie die Wüste zum Beduinenvolk. Seit Jahrhunderten prägten die wunderschönen arabischen Segelschiffe die Kultur, Wirtschaft und Identität des Landes. Leider sind sie fast gänzlich von der Bildfläche verschwunden, doch die touristische Faszination für die antiken Holzboote ist lebendiger denn je. Im Oman gibt es noch eine Werft, wo die traditionellen Schiffe nach altem Vorbild gebaut werden. Wo sie sich befindet, und was man dort alles entdecken kann, das verraten wir Ihnen hier…

Die letzte existierende Dhau-Werft der Arabischen Halbinsel befindet sich im Osten des Omans, nämlich in Sur, einer idyllischen Hafenstadt mit Seefahrer-Flair. Was genau ist eine Dhau?  Dies ist ein traditionelles Holzboot, das früher zum Fischfang und Handel eingesetzt wurde. Dhaus hatten vor allem im Roten Meer und im Indischen Ozean ihre Heimat.

Es gibt noch einige Relikte dieser vergangenen Ära, die wieder zum Leben erweckt wurden. Restaurierten Dhaus sind mehr als nur Museumsschiffe, denn sie bieten Touristen eine nostalgische Reise an. Auch Sie können in Fußstapfen der Seefahrer von einst treten, zum Beispiel auf diesen Dhaus, die das Asien-Lifestyle-Team in der Marina Bandar Al Rowdha entdeckte. Früher wurden diese Schiffe mit Segeln und Rudern angetrieben. In der Neuzeit werden jedoch häufig auch Motoren eingesetzt.

Unter den Schiffstypen gilt diese arabische Dhau als “Grande Dame des Orients”. Typische Merkmale sind der gekrümmte Bug und das hoch aufragende, abgeflachte Heck. Die Größe der Dhaus variieren – je nach Bedarf. Kleine Dhaus sind rund 10 Meter lang, während große Dhaus Längen von 30 – 40 Metern erreichen. Diese Schiffe sind ideal für größere Gruppen, die eine Party oder ein Event buchen möchten.

Für Urlauber und Omanis werden jedes Wochenende in der Marina Bandar Al Rowdha 2-stündige Sunset-Cruises auf diesen antiken Dhau-Schiffen angeboten. Der idyllische Hafen liegt in unmittelbarer Nähe des Al Bustan Palace und ist nur 15 Autominuten vom “Burghotel” Shangri-La Al Husn entfernt, wo wir uns für die ersten Tage unserer Oman Rundreise eingebucht haben.


Dhaus: Herkunft und Geschichte

Der genaue Ursprung der Dhaus liegt im Nebel der Geschichte verborgen. Die meisten Historiker sind sich uneinig, ob die Dhau vor dem 7. Jahrhundert n. Chr. von Arabern oder Indern erfunden wurde. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass ähnliche Schiffe bereits in der Antike existierten.

In der Vergangenheit segelten omanische Seefahrer bis an die afrikanische Küste, nach Indien und China. Meist waren etwa 12 bis 15 Seeleute an Bord. Ihre Schiffe dienten zum Transport von Sklaven, Edelsteinen, Elfenbein, Gewürzen Pfeffer, Zimt, Seide und natürlich Weihrauch – das weiße Gold.

Die großen Ozeansegler, “Boom” genannt, die eine Ladekapazität von bis zu 500 Tonnen hatten, waren tatsächlich noch bis in die 1970er Jahre unterwegs. Sie gehören zu den größeren Varianten der arabischen Segelschiffe, mit einer Besatzung von bis zu 30 Mann. Boom-Dhaus waren bekannt für ihre Robustheit und Zuverlässigkeit, denn sie konnten den widrigsten Bedingungen auf dem Indischen Ozean standhalten.

Obwohl die prächtigen Holzboote im Laufe der Zeit durch moderne Schiffe verdrängt wurde, spielen Dhau-Schiffe nach wie vor eine wichtige Rolle in der Kultur und dem Tourismus der Region.

Wer einen Einblick in die Sindbad-Mystik und den traditionellen Bootsbau bekommen möchte, begibt sich nach Sur. Die Küstenstadt ist von der Hauptstadt Maskat aus in rund 2 Stunden zu erreichen.


Besuch der Dhau-Werft in Sur

Da Sur einiges Interessantes zu bieten hat, lohnt es sich, mindestens einen Tag in dieser Stadt zu verbringen. Unser Top-Tipp: Besuchen Sie unbedingt die hier ansässige Bootswerkstatt – die letzte und einzige ihrer Art!

Sie befindet sich am östlichen Rand der Lagune, in unmittelbarer Nähe der markanten Hängebrücke. An diesem Ort, wo uraltes Wissen um den Bau der traditionellen arabischen Segelschiffe weiterlebt, tauchen auch wir in die spannende Seefahrer-Vergangenheit ein.

Schon beim Betreten der Werft wird man von einem einmaligen Ambiente eingehüllt. Während wir uns die Tickets am Entrée besorgen, hallt das rhythmische Klopfen von Hämmern und das Sägen der Arbeiter unaufhörlich durch den geschäftigen Hof.


Der erste Eindruck

An einer Seitentheke werden die Besucher mit der omanischen Holzverarbeitung und Schnitzkunst vertraut gemacht. Die aufwendigen Schnitzereien, darunter geometrische Muster, florale Motive und sogar Kalligrafie, sind ein Markenzeichen der Surer Kunsthandwerkstradition.

Die originellen Produkte kann man vor Ort für einen günstigen Preis kaufen. Allein schon dieser Anblick stimmt uns auf das ein, was gleich auf uns zukommt. Nämlich die Holzverarbeitung in einer gigantischen Dimension!


Äußeres Escheinungsbild

Ein Labyrinth aus Holzbalken, Planken und Seilen umgibt uns, und der Duft von frischem Holz und Sägespänen liegt in der Luft.

Dhows sind in dieser Werft in allen Varianten und Baustadien zu besichtigen. Meist sind diese maritimen Kostbarketien aus massivem Teakholz gefertigt, manchmal auch mit Fiberglas und Kokosnussschnüren verstärkt.

Zwischen drei und sechs Monate dauert die Fertigstellung einer Dhau, je nach Größe des Schiffes.

Wie aus einer anderen Zeit scheinen die teils fertigen, teils halbfertigen Dhaus hier vor sich hin zu schlummern, bis sie irgendwann in die Lagune von Sur entlassen werden.


Die inneren Werte

Wer sich traut, klettert eine schmale und hohe Treppe in Richtung Himmel hinauf, um die Dhau von Innen zu besichtigen. Natürlich trauen wir uns!

Wow! Das trifft es genau. Beim Betreten des Schiffsinneren steht man zunächst enmal staunend und sprachlos da – angesichts dieser gigantischen Größe. Die mächtigen Holzbalken, die das Bootsgerüst bilden, geben dem bauchigen Inneren eine ungeahnte, ja fast schon majestätische Perspektive.

Man spürt die Kraft und die Robustheit dieses Schiffes, das noch in den Kinderschuhen steckt. Die Dimension, mit der eine traditionelle Dhau gebaut wird, ist schlichtweg überwältigend und übertrifft tatsächlich alle unsere Erwartungen. Fast ehrfürchtig beobachte ich die Arbeiter aus Indien und Bangladesch, wie sie mit einer erstaunlichen Geduld und Präzision ihre Arbeit verrichten.

Wie wir vor Ort gesehen haben, wird auch das Prinzip des Tackerns, also das Zusammenheften von unterschiedlichen Bauteilen mittels stabiler Heftklammern genutzt.

In der heutigen Zeit werden auch wieder vereinzelt Metallnägel verwendet, doch das ist höchst umstritten, weil nicht authentisch.

Traditionell wurden überhaupt keine Metallteile verwendet, und dazu gibt es eine höchst interessante Story.


Sindbad-Legenden & Seemansgarn

Im Märchen aus 1001 Nacht muss Sindbad der Seefahrer gefährliche Magnetberge passieren, die sich auf sagenumwobenen Inseln erheben. Schiffe, die mit Metallnägeln zusammengezimmert waren, wurden von den Magnetbergen magisch angezogen…,

… folglich brachen die Planken auseinander und die Segelboote versanken für immer in den Tiefen des Ozeans. Sindbad hingegen, der Held der orientalischen Geschichte, war mit einer “geschnürten” Dhau unterwegs, ohne jegliche Metall-Elemente.  Ihm drohte demnach keine Gefahr. Ob nun Seemansgarn oder nicht: Fortan wurden die Holzbretter der Dhaus ausschließlich mit Palmenfasern der Kokosnuss zusammengehalten.

Dass eine solche Bauweise perfekt funktioniert, stellte der britische Autor und Abenteurer Tim Severin im Jahre 1981 unter Beweis. Auf den Spuren von Sindbad überquerte er in einem 12 Meter langen traditionellen Holzboot den Indischen Ozean von Maskat nach Kanton in China.

Seine Dhau namens “Sohar” (Geburtsort von Sindbad) wurde ausschließlich mit starken, widerstandsfähigen Fasern der Kokosnuss zusammengehalten, die zuvor in Öl getränkt wurden. Dies schützte die Schnüre vor Salzwasser und Fäulnis.

Severins erfolgreiche Reise zeigte, dass “geschnürte” Dhaus durchaus in der Lage sind, lange Seestrecken zu bewältigen. In diesem Falle 8000 Seemeilen über einen Zeitraum von 7 Monaten und 14 Tagen. Wer sich dafür interessiert, kann mehr darüber in einem Essay über “The Sindbads Voyage” nachlesen. Das Buch von Tim Severin ist über Amazon erhältlich.

Während ich über das Gelände der Dhau-Werft in Sur schlendere und die beeindruckenden Schiffsgerippe betrachte, sehe ich auch all jene Handelsschiffe vor meinem inneren Auge, die seit vielen Jahrhunderten die maritime Kultur dieser Region prägten. Wie sie mit prall gefüllten Segeln über die Wogen glitten, beladen mit exotischen Gewürzen und kostbaren Gütern. Und natürlich denke ich auch an die unfassbaren Stürme und Gewitter, die die Seeleute während des Monsuns auf dem offenen Meer bewältigen mussten. Nur eine Dhau konnte offenbar diesen Naturgewalten standhalten.


Handwerkskunst vom Feinsten

Fasziniert beobachten wir die Handwerker bei ihrer Arbeit. Mit geübten Handbewegungen zersägen sie das harte Holz, biegen mit purer Muskelkraft die Planken zurecht und fügen sie schließlich mit präzise zusammen. Ohne Konstruktionspläne. Nur mit überliefertem Wissen!

Auch interessant: Der Bau einer Dhau erfolgt von außen nach innen. Zunächst wird die äußere Hülle geformt, bevor die inneren Bauteile zur Verstärkung des Rumpfes eingefügt werden. Hier kommen noch traditionelle Werkzeuge zum Einsatz, die seit Generationen von Vater zu Sohn weitergereicht werden. Nichts wird maschinell hergestellt, es gibt weder Hallen noch Kräne.

Da Schiffsneubauten mittlerweile zu teuer sind, wurde im Jahre 1920 der offizielle Neubau weitgehend eingestellt. Abgesehen von Reparaturarbeiten werden neue Boote nur noch auf Bestellung gefertigt, wie etwa für die Tourismusbranche oder für Millionäre und königliche Hoheiten, wie z.B. König Abdullah von Jordanien. Dann allerdings mit moderner, luxuriöser Innenausstattung.


Dhau Museum

Zum Abschluss des Geländerundgangs lohnt noch der Besuch der Factory Gallery, die zur Werft gehört. Dies ist ein kleines maritimes Museum mit interessanten Ausstellungsstücken, Fotos und detaillierten Erklärungen.

Interessant sind vor allem die Wrack-Fundstücke von untergegangenen Schiffen und die Nachbildung einer großen, maßstabsgetreuen Dhau.

Bei einem Bummel durch die große Halle wird die vergangene maritime Geschichte Oman und die stolze Zeit der Dhau-Schifffahrt nochmals sehr lebendig.

Wer diesen Aspekt noch weitervertiefen möchte, kann auch noch das in unmittelbarer Nähe zur Dhow-Werft befindliche Maritime Museum besuchen.


Unser Fazit

Die Dhau-Werft in Sur (“Dhow Factory”) ist mehr als nur ein Ort, an dem Boote gebaut werden. Hier begegnet man der Geschichte, der Kultur und der Seele des Omans.

In einer Zeit der rasanten Modernisierung bewahrt diese Produktionsstätte ein Stück maritimes Erbe, das es zu schätzen gilt und das auch der Nachwelt hoffentlich noch lange erhalten bleibt.


© Text & Fotos: Nathalie Gütermann & Jörg Baston


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Information

Öffnungszeiten der “Boat Factory”

Täglich von 7:00 bis 17:30 Uhr. T: +968 9943 3534

Man findet die Dhau-Werft in einer Seitenstraße, direkt neben der Khor Al Batah Hängebrücke von Sur.