Jaisalmer: Die “Goldene Stadt” in Rajasthan

Wie eine Fata Morgana erhebt sich Jaisalmer aus der Wüste Thar. In diesem Reisebericht entführen wir Sie in eine magische Welt, wo goldgelbe Festungen, Tempel und Havelis längst vergessene Geschichten von Handelskarawanen erzählen und die Sinne beleben.

Jaisalmer, die entlegenste Stadt in Rajasthan, ist nicht nur wegen ihrer gut  erhaltenen mittelalterliche Architektur ein Muss für jeden Reisenden, sondern auch wegen der malerischen Wüstenlage. Aufgrund des charakteristischen honigfarbenen Sandsteins strahlen die Gebäude in der Nachmittagssonne in einem warmen, goldenen Licht. Das hat Jaisalmer den Beinamen “Goldene Stadt” eingebracht.


Geschichte von Jaisalmer

Majestätisch erhebt sich die Wüstenstadt auf einem 80 Meter hohen Felsrücken. Jahrhundertelang galt sie als eine der bedeutendsten Karawanenstädte auf der südlichen Seidenstraße.

Jaisalmer wurde im Jahre 1156 vom Rajputenherrscher Rawal Jaisal (“Rao”) gegründet. Seine gigantische Festung nannte er “Sonar Quila”, was übersetzt soviel wie “Goldene Festung” bedeutet.

Der Felsvorsprung, auf dem das Fort und die darunter liegenden Stadt erbaut wurde, war ein idealer strategischer Verteidigungspunkt. Dies nutzten auch zahlreiche Händler und Kaufleute, die ihrem Fürsten Rao folgten und sich in seinem Schutz dort oben niederließen.

Während wir durch die schmalen Gassen bummeln und im Schatten Schutz suchen, lesen wir in unserem Reiseführer nach, was in der Folgezeit geschah.

Der rege Handel sowie hohe Zölle bescherten der Stadt sehr rasch großen Reichtum; ihre Blütezeit datiert man auf das 14. bis 16. Jahrhundert. Gehandelt wurde vor allem mit Seide, Gewürzen, Edelsteinen und anderen wertvollen Waren.

Allerdings ging dieses “goldene Zeitalter” zu Ende, als Jaisalmer unter die Herrschaft des Moghul-Imperiums geriet. Die auch wirtschaftlichen Strukturen änderten sich,  die Handelsrouten wurden neu ausgerichtet. Die Aufteilung des indischen Subkontinents im Jahr 1947 in die Staaten Indien und Pakistan hatten erhebliche Auswirkungen für die Stadt, denn diese Abspaltung  unterbrach den Weg zur Küste.


Das Jaisalmer Fort

Das aus ockerfarbenen Sandstein und im Rajputen-Stil erbaute Jaisalmer Fort gehört zu den letzten bewohnten Festungen der Welt. 2013 wurde es zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt.

Seit über achthundert Jahren leben die Menschen hinter den massiven, ohne Mörtel errichteten Schutzmauern. Die riesige Festung beherbergt zahlreiche Paläste, Geschäfte, Tempel, Wohn- und Gästehäuser. Das Labyrinth von schmalen Gassen und kleinen Plätzen ist von kunstvollen Bögen und Säulen gesäumt.

Im Inneren befinden sich mehrere Jain-Tempel mit Skulpturen, Fresken und religiöse Artefakten. Diese Tempel sind nicht nur religiöse Stätten, sondern auch architektonische Meisterwerke. Darauf kommen wir gleich noch im Detail zu sprechen.

Im Innern des Forts können Sie gemütlich durch die Gassen bummeln, die Aussicht von den Mauern aus genießen und die  Architektur dieses außergewöhnlichen Bauwerks bewundern.


Der Stadtpalast

Über dem Hauptplatz der Festung thront der elegante siebenstöckige Palastkomplex der ehemaligen Herrscher. Seine Architektur ist typisch für die Rajputen mit hinduistischen und islamischen Einflüsse.

Die Wände und Türme des Palastes sind überaus kunstvoll verziert. Labyrinthische Treppen führen zu Höfen und schönen Aussichtspunkten. Besonders bei Sonnenuntergang bieten diese einen spektakulären Panoramablick auf die am Fuße des Felsen liegende Stadt und die Wüste.

Durch diesen netten Herrn erhalten wir bei unserem staunenden Blick in die Ferne sogar eine wunderbare musikalische Untermalung! Was will man mehr?

Und dies mit einer Kamaicha, dem beliebtesten traditionellen Streichinstrument in Rajasthan.

Ihre einzigartige Struktur besteht aus einem ausgetrockneten Kürbis als Resonanzkörper, auf den eine Ziegenhaut gespannt wird.

Die Saiten, üblicherweise drei bis sechs, sind traditionell aus Rosshaar gefertigt, können aber auch aus Metall bestehen. Der Bogen, auch als “Gaz” bekannt, ist aus Holz und Rosshaar gefertigt.

In der Volksmusiktradition Rajasthans spielt die Kamaicha eine herausragende Rolle. Oft bei Volksfesten, Hochzeiten und religiösen Veranstaltungen eingesetzt, begleitet sie Gesang und Tanz, verleiht der Musik eine traditionelle und lebendige Note.

Ihr Klang ist fest mit den Volksliedern und Tänzen dieser Region verbunden und spiegelt Geschichten, Legenden und Bräuche wider. Die Kamaicha ist damit nicht nur ein Musikinstrument, sondern auch ein Symbol der kulturellen Identität von Rajasthan.


Jain-Tempel

Inmitten der wuseligen Gassen des Forts gibt es insgesamt sieben Jain-Tempel aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Alle wurden im sogenannten Dilwara-Stil erbaut. Bereits beim ersten Anblick der kunstvoll verzierten Spitztürme (“Shikhar”) ist man geradezu überwältigt.

Obwohl diese Heiligtümer “nur” aus Sandstein gebaut wurden, können sie in ihrer architektonischen Brillanz durchaus mit dem berühmten Jain-Tempel in Ranakpur mithalten, der komplett aus Marmor errichtet wurde

Der Parshvanatha-Tempel aus dem 14. Jahrhundert ist der älteste und berühmteste Jain-Tempel in Jaisalmer. Gewidmet ist er dem 23. Tirthankara (“geistiger Führer”) des Jainismus, Lord Parshvanatha.

Der Tempel ist ein herausragendes Beispiel für die kunstvolle Jain-Architektur. Er ist reich verziert mit feinen Schnitzereien, filigranen Säulen und kunstvollen Fresken, die Szenen aus dem Leben von Lord Parshvanatha darstellen.

Besonders beeindruckend sind die Säulen und Marmorbögen, die mit aufwendig gearbeiteten Reliefs versehen sind und die Lehren des Jainismus darstellen.

Auch die Fassaden des Tempels sind mit unzähligen Schnitzereien geschmückt. Insgesamt ist die Fülle der Symbole und Skulpturen von Göttern und Tänzerinnen schier überwältigend.

Mich jedenfalls ließ der Tempel staunend und sprachlos dastehen!


Der Jainismus

Jains sind eine transtheistische Gemeinschaft in Indien, die eine Philosophie der Spiritualität und Gewaltlosigkeit propagiert.

Ein zweites Prinzip namens Aparigraha verpflichtet die Gläubiger dazu, nicht nach Besitz zu streben, denn dieser verleite dazu, die wesentlichen Dinge aus den Augen zu verlieren.

Diese Religion ist zwar wenig bekannt, dennoch orientiert sie sich im Wesentlichen an den Lehren Buddhas.

Der Jainismus gehört zu den drei großen Religionen Indiens und geht auf eine Zeit zurück, die mehr als 3.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung liegt. Wie im Hinduismus und Buddhismus wollen sich die Gläubigen aus dem Kreislauf der Reinkarnationen – dem Samsâra – befreien, um das Nirwana zu erreichen.

“Das größte Missverständnis des Jainismus liegt im Begriff Religion”, sagt Johannes Beltz, Kurator der Züricher Ausstellung ‘Jain sein. Kunst und Leben einer indischen Religion’. “Jainismus ist keine Religion, sondern eine Lebensart”. Im Gegensatz zum Christentum bestimmen keine zentralen Kirchen den Glauben, sondern es gibt eine Vielzahl verschiedener Schulen und Strömungen. Auch missionieren Jains nicht. (Quelle: GEO, 14.04.2023)

Wenn das Äußere der Jain-Tempel uns schon überwältigt, so stellen die Innenräume diese Wirkung nochmals in den Schatten. Denn die Wände der seitlich offene Säulenhalle (“Mandaba”) sind mit prächtigen Schnitzereien geradezu übersät.

Diese stellen Szenen aus den heiligen Schriften der Jain-Tradition dar. Auch die Stützsäulen des Mandapa sind durch fein dekorierte Torbögen miteinander verbunden, und die geradezu fantastische Deckenrosette ist ein veritables Himmelszelt voller Symbolik und Ganesh-Figuren.

Beim Blick von der Galerie der heiligen Haupthalle wird die jahrhundertealte, grandiose Handwerkskunst und Hingabe der Architekten deutlich. Der ganze Tempelraum strahlt eine spirituelle Atmosphäre aus.

Alles, aber auch wirklich alles ist mit traumhaften Steinschnitzereien geschmückt. Wohin man auch blickt, überall sieht man Schreine, die dem jeweiligen “Tirthankara” (geistigen Führer) des Tempels gewidmet sind.

Die Statuen sind in der Regel aus Marmor geschnitzt, die Altäre mit rituellen Gegenständen geschmückt. Gläubige Hindus bringen hierher Blumengirlanden als Opfergaben.

Denn frische, duftende Blumen gelten im Jainismus als Symbole der Reinheit.

Das kunstvoll gestaltete Spiel von Licht und Schatten, auch durch geschickt gestaltete Fensteröffnungen, erzeugt eine unbeschreibliche Stimmung.

Auch in den Außenanlagen des Tempels betrachte man die Liebe zum Detail.

Das Zusammenspiel von grandioser Innen- und Außenarchitektur, der allgegenwärtige Weihrauchduft sowie die tiefe Andacht der Gläubigen erzeugt eine fast schon unwirkliche, mystische Erfahrung, auch wenn man nicht sonderlich spirituell veranlagt ist.


Die Unterstadt: Havelis & Straße der Karawanen

Der wahre Reichtum von Jaisalmer sind allerdings die Havelis, jene Patrizierhäuser, die sich reiche Händler im 15. und 16. Jahrhundert ähnlich wie in Mandawa bauen ließen.

Viele der prächtigen hohen Gebäude befinden sich außerhalb der Festung in den engen Gassen der Unterstadt.

Die aufwendig dekorierten Gebäude stehen so eng zusammen, dass es kaum möglich ist, ihre vollständige Schönheit zu bewundern. Lediglich Teile des Ganzen lassen sich bestaunen.

Von der oberen Etage dieses Havelis etwa hat man einen tollen Blick hinunter in die Schlucht der sogenannten „Straße der Karawanen“.

Während die Havelis in oft im Rajputen-Stil mit kunstvollen Fresken und Wandmalereien gestaltet sind und aus Ziegeln und Kalkstein gebaut wurden, sind die Havelis hier – inmitten der Wüste – weniger bemalt. Was jedoch den Reiz ausmacht ist ihre gelbgoldene Sandsteinfarbe.

Mit ihren kunstvoll gestalteten Fenstern und Fassaden, Erkern und Balkonwänden sind sie Zeugen des damaligen Reichstums der Karawanenstadt. Dank des trockenen Klimas blieben die Schnitzereien fast unversehrt erhalten. Übrigens: Reiche Rajasthani leisten sich auch heute noch Havelis im gleichen Stil.

Eines der letzten gebauten Handelshäuser ist das Nathmal Ki Haveli.

Es diente als Residenz von Metha Nathmal, der Mitte des 19. Jh.  Premierminister war.

Bis heute bewohnen die Nachfahren von Nathmal dieses Gebäude. Interessierte Besucher können anfragen, ob der erste Stock mit seinen bemalten Wänden und Wandgemälden besichtigt werden kann.

Interessant ist auch das turmartige Salim Singh-Haveli.

Diese historische Residenz wurde im späten 19. Jahrhundert vom Diwan Salim Singh, dem Minister des Fürsten von Jaisalmer, erbaut. Das Gebäude ist eine der Hauptsehenswürdigkeiten, wenn man sich für die Architektur der traditionellen Bauwerke interessiert.

Die markante Architektur ist vor allem für die oberhalb eines Mittelblocks aufgesetzte, weit herausragende Galerie bekannt. Die charakteristischen geschwungenen “Peitschenbögen” verleihen dem Gebäude eine elegante und einladende Ästhetik. Es wird gesagt, dass die Bögen dazu dienten, die Blicke der Frauen im Haveli zu verbergen.

Die Regierung von Rajasthan setzt sich für die Erhaltung solcher historischen Stätten ein, um sie für kommende Generationen zu bewahren.

Einige der Havelis wurden zu Museen umgebaut und können daher auch von innen besichtigt werden. Sie geben einen guten Einblick in die Lebensweise und (Handwerks-)Kunst vergangener Zeiten.


Haveli Museen

Sogenannte “Museale” Havelis stellen den Lebensstil der damaligen Bewohner nach. Dazu gehören möblierte Räume, die den traditionellen Haveli-Lebensstil mit Möbeln, Geschirr, Beleuchtung und anderen Einrichtungsgegenständen widerspiegeln.

Während wir durch die prächtigen Räumlichkeiten schlendern, können wir uns jedenfalls sehr gut vorstellen, wie die Händlerfamilien und Adlige damals hier gelebt haben.

Beeindruckend ist auch die Sammlung von Deko-Stücken  in Nischen und auf Tischen aus Bronze oder Messing.

Damals dienten die Havelis nicht nur als Wohnhäuser für wohlhabende Familien, sondern oft auch als Geschäftshäuser oder Handelsposten.

Dass der Schutz von Kühen in Rajasthan gesetzlich verankert ist, wird in dieser Situation am Ende unserer Besichtigung recht deutlich.

Kühe gelten generell im Hinduismus als heilig, und die Verehrung der Kuh ist tief in der indischen Kultur verwurzelt. Viele Hindus betrachten die Kuh als heiliges Tier, das göttliche Eigenschaften verkörpert. Auch in Rajasthan, einem überwiegend hinduistischen Bundesstaat, wird die Kuh mit Respekt behandelt und in einigen Fällen sogar als “Gau Mata” (Kuhmutter) bezeichnet.

Wie dem auch sei – dieses Tier hat es sich jedenfalls direkt am Hauseingang eines Havelis gemütlich gemacht. Ein treffender Ausklang für einen spannenden, gleichwohl aber auch entspannten Tag in dieser Wüstenstadt.


© Text & Fotos: Jörg Baston. Redaktion: Nathalie Gütermann


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