Ihlara-Schlucht – “Grand Canyon” der Türkei
❂ Eingebettet in das gleichnamige Tal tauscht die Ihlara-Schlucht die ansonsten trockene, ockerfarbene Mondlandschaft Kappadokiens gegen eine blühende und fruchtbare Umgebung ein. ❂ Geprägt ist dieser “Garten Eden” von hohen, steilen Felswänden, dem Melendiz-Fluss und immergrünen Auen. Deshalb wird diese Gegend auch “Grünes Tal” genannt.
Das Ihlara-Tal erstreckt sich über durch etwa 14 Kilometer lange und bis zu 150 m tiefe Schlucht zwischen den Orten Ihlara im Südosten und Selime im Nordwesten. Die markante Schlucht wird vom “Melendiz River” durchzogen, der die gesamte Region bewässert. Die steilen Felswände links und rechts des Stroms erreichen an einigen Stellen Höhen von bis zu 100 Metern.
Das Tal wurde 1985 zum Nationalpark erklärt und hat sich seitdem zu einem besonders beliebten Ziel von Kappadokien-Reisenden entwickelt.
Eine der faszinierendsten Aspekte der Ihlara-Schlucht sind die rund 50 Höhlenkirchen, die im Lauf der Jahrhunderte in die Felswände gemeißelt wurden. Diese Kirchen stammen aus der byzantinischen Ära und enthalten Fresken und religiöse Darstellungen. Dazu kommen wir später zu sprechen.
Entstehung der Ihlara-Schlucht
Ihre geologische Herkunft verdankt die Ihlara-Schlucht dem in der Nähe befindlichen erloschenen Vulkan Hasan Dağı (hier im Hintergrund). Während seiner aktiven Phase spuckte der Vulkan Lava und Asche aus, die sich über die gesamte Umgebung verteilten.
Die abgelagerten Materialien, insbesondere der weiche Tuffstein, bildeten eine dicke Schicht über der Landschaft, die dann im Laufe der Zeit durch Wind und Wasser zu den heutigen Formen erodierte.
Eine entscheidende Rolle spielte hierbei der Fluss Melendiz, der sich in die Lavaschichten eingrub und die Ihlara-Schlucht formte. Dank des Stroms entstand auch nach und nach diese fruchtbare, grüne Oasen-Landschaft inmitten der sonst sehr trockenen, fast schon steppenartigen kappadokischen Steinlandschaft.
Da die Felsen zum größten Teil aus hartem Basalt bestehen, sind hier nicht die sonst so typischen, sanften Auswaschungen zu sehen, sondern vielmehr grobe Steilabbrüche. Daher auch die Bezeichnung “Grand Canyon” der Türkei.
Wenn auch nur aus einiger Entfernung kann man bei klarem Wetter sogar die für Kappadokien charakteristischen „Feenkamine“ sehen, die mit ihren verschiedenen Formen eine faszinierende Kulisse bilden.
Zur Erklärung: In Kappadokien sind Feenkamine hoch aufragende, schornsteinartige Felsformationen, die oft wie Pfeiler oder Türme aussehen. Ihre charakteristische Form ist eine schmale Spitze und ein breiter Fuß. Die meisten dieser bizarren Natursteine sieht man im Nationalpark Göreme, der zum UNESCO-Welterbe gehört.
Die sehr markanten Formationen entstehen durch unterschiedliche Erosionsprozesse, bei denen weichere Gesteinsschichten schneller erodieren als die härteren Gesteinsschichten darüber. Wir haben über dieses Phänomen bereits in unserem ausführlichen Artikel über Uçhisar berichtet.
Wanderung durch das “Grüne Tal”
Die Schlucht eignet sich hervorragend für Wanderungen. Ein beliebter Wanderweg führt entlang des Flussufers und ermöglicht es Besuchern, die natürliche Schönheit und die historischen Stätten zu erkunden.
Aufgrund der gut markierten Wege kann man seine Wanderung durch das Ihlara-Tal sehr gut auf eigene Faust unternehmen.
Die genaue Dauer der Wanderung hängt von der gewählten Route und dem individuellen Tempo ab. Eine durchschnittliche Wanderung durch das Haupttal entlang des Flusses Melendiz, einschließlich des Besuches von einigen Höhlenkirchen, kann etwa 3 bis 4 Stunden dauern.
Unser Spaziergang beginnt unweit des Dorfes Ihlara, das idyllisch am Rande des steil abfallenden Tals liegt.
Idyllisch & authentisch
Hier begegnet man noch dem Anatolien, wie wir es aus alten Reisebüchern kennen. Wanderwege und Eselspfade führen durch blühende Landschaften mit Obstplantagen, Weinbergen, Steinmauern und altertümlichen Brunnenanlagen.
Die noch recht traditionelle Lebensweise der Einwohner ist besonders hier, im Dorf Ihlara, unverkennbar.
Während das gesamte Tal etwa 16 Kilometer lang ist, gibt es einen umzäunten Abschnitt, in dem sich die meisten Kirchen befinden. Der Zugang zu diesem Bereich ist kostenpflichtig und kann an drei Stellen betreten werden; im Dorf Belisırma, im Dorf Ihlara und eine weitere etwas ausserhalb des Dorfes.
Wir halten oberhalb des Tals, denn dort kann man gut parken. Allerdings muss man von dort 360 Stufen und einen schmalen ungeteerten Weg hinunter zum Talboden wandern.
Abstieg zur Ihlara-Schlucht
Der malerische Pfad ist gesäumt von wildwuchernden Grünpflanzen und einigen Felsbroken. Bereits hier bekommen wir einen ersten Vorgeschmack auf das, was uns im eigentlichen Tal erwartet.
An einigen Stellen ist der Boden in urigem Zustand verblieben und mit Brombeersträuchern, Brennnesseln und blühenden Hyazinthen bedeckt. Unten im Tal angekommen, erblicken wir endlich den “Melendiz River”. Ab sofort wird der Fluss unser ständiger Wegbegleiter sein. Idylle pur!
Während wir weiter in die Schlucht vordringen, präsentiert sich die Szenerie in allen nur erdenklichen Grün-Schattierungen. Die Tal-Region ist vorrangig mit Pappeln bewachsen, während die Felshänge und das Hochplateau baumlos sind.
Die üppige Vegetation entlang des Flusses schafft reizvolle Kontraste zu der allgegenwärtigen Felskulisse.
Ständig scheinen die imposant aufragenden Steinwände auf uns Wanderer herabzublicken, vermitteln aber trotz aller Erhabenheit ein gewisses heimeliges Gefühl.
Versteckte Höhlenkirchen
Die Wanderung entlang des Flusses wird unterbrochen durch die Auf- und Abstiege zu den mehr als 15 Höhlenkirchen.
Viele kleine Höhlenfenster, eingemeißelt in die mächtigen Klippen, weisen auf die zahlreichen anderen Kammern und Tunnel mit geheimen Eingängen hin, die sich hinter der Steinwand verbergen. Insgesamt beherbergt das Ilhara-Tal über 80 versteckte Höhlenkirchen. In diesem kann man die teilweise noch gut erhaltenen Fresken aus dem 10. bis 12. Jahrhundert bewundern.
Erschaffung der Höhlenkirchen
Als das Christentum in Kappadokien Fuß fasste, musste die christliche Bevölkerung zunächst vor der römischen Verfolgung, später vor arabischen Überfällen und der seldschukischen Expansion fliehen. Um sich zu verstecken, legten die Einwohner unterirdische Städte an, siehe dazu auch unseren Bericht über die “antike Höhlenstadt Derinkuyu”.
Alternativ versteckte sich die Bevölkerung an geologisch gut geschützten Orten, wie zum Beispiel hier, im Ihlara-Tal.
Zwischen dem 6. und 13. Jahrhundert gruben byzantinische Mönche Höhlen in das weiche Tuffgestein, die dann zu Wohnzwecken und zu Kirchen ausgebaut wurden.
Insgesamt entstanden so im Tal rund 4.000 Wohnhäuser, 100 Kirchen sowie die drei Städte Yaprakhisar, Belisırma und Ihlara. Die reichliche Verfügbarkeit von Wasser aus dem Fluss Melendiz hat entscheidend zu diesen Ansiedlungen beigetragen.
Architektur & Kunst in den Höhlenkirchen
Ihlaras Höhlenkirchen sind beeindruckende Zeugnisse der frühen christlichen Präsenz in der Region. Jede erzählt ihre eigene Geschichte.
Die architektonische Palette reicht von einfachen Höhlen mit kleinen Kapellen bis zu größeren, komplexeren Kirchen mit mehreren Kammern und Gewölben – wie die hier abgebildete “Sümbüllü Kilise”, die “Kirche der Hortensien”.
Die Wände der Höhlenkirchen sind mit religiösen Fresken verziert, die biblische Geschichten darstellen. Obwohl einige Fresken im Laufe der Zeit leider stark beschädigt wurden, sind viele von ihnen gut genug erhalten geblieben, um einen Eindruck von der Kunst und Spiritualität jener Zeit zu bekommen.
Da die Fresken in den verschiedenen Kirchen sehr ähnlich sind, haben wir uns auf die Besichtigung von zwei Kirchen beschränkt: der Agacalti Kirche und der Yilanli Kirche.
Agacalti Kirche
Gleich in der Nähe des Einstiegs in das Ilhara-Tal liegt die Agacalti Kilise, übersetzt: “Kirche unter dem Baum”. Hierbei handelt es sich um eine kreuzförmig in den Fels gehauene Kirche aus dem 7. Jahrhundert. In ihrer Kuppel ist eine typische Himmelfahrtszene zu sehen. Der Name der Höhlenkirche geht auf den früheren Zugang zurück. Um die Kirche zu erreichen, musste man einen Baum hinaufklettern.
Yilanli Kirche
Auch die Yilanli Kilise, übersetzt: “Schlangenkirche”, ist eine Kreuzkuppelkirche. Ihren Namen hat sie von der Darstellung von Sündern, die von Schlangen bestraft werden. Die leeren Augen lassen die Charaktere ein wenig unheimlich wirken.
Die von den mittelalterlichen Künstlern verwendeten Farbpaletten unterscheiden sich von denen an anderen Orten in Kappadokien, wo meist Dunkelblau als Hintergrundfarbe vorherrscht. In diesen beiden genannten Kirchen hingegen dominieren helles Grün, Ocker und Weiß.
Rast im Fluss-Restaurant
Nach ca. 1,5 Stunden reine Wanderung erreichen wir das beschauliche, ungefähr in der Mitte der Schlucht gelegene Dorf Belisirma. Hier ist es Zeit für eine Mittagspause.
Das Belisırma River Restaurant ist ein beliebter Stop-Over auf dieser Wanderung, denn es liegt besonders bezaubernd am Fuße der hohen Felsformationen und direkt am überaus idyllischen Fluss.
Diese liebenswerten Weggenossen verfolgen aufmerksam unser Tun. Vielleicht bekomen sie ja ein paar Krumen ab? Leider nein. Hier ist füttern verboten!
In diesem charmanten Restaurant haben wir gleich mehrere Möglichkeiten, Platz zu nehmen: Entweder auf einem langgestreckten Ponton mit Tischen und Stühlen unter strohgedeckten Hütten…
… oder in Pavillons mitten auf dem Wasser, die mit den hübsch gemusterten, teppichartigen Kissen (“Yastık”) ausgestattet sind. In vielen türkischen Restaurants sind diese Kissen auf Sitzbänken oder Sitzmatten zu finden – so auch hier, im Belisırma Fluss Restaurant.
Sie verleihen nicht nur einen Hauch von Authentizität, sondern bieten auch Komfort für die Gäste, die im traditionellen Stil auf dem Boden sitzen möchten. Hier genießen wir ein türkisches Picknick mit frisch gebackenem Brot, Tomaten, Gurken, Oliven, Schafs- und Kuhmilchkäse sowie Basturma, einem luftgetrockneten Rinderschinken im Kräutermantel. Mmhh…!
Unser Fazit
Die Ihlara-Schlucht mit ihren dramatisch steilen Felswänden, den einzigartigen Höhlenkirchen und den immergrünen Auen ist zweifellos einzigartig. Die fruchtbare Landschaft in diesem “Grünen Tal” ist im Vergleich zu der typisch kappadokischen Landschaft weniger karg, sie ist für den Reisenden geradezu erfrischend! Vor allem ist es hier ruhig – keine Menschenmassen wie etwa in Göreme. Ähnlich dem sich durch die Schlucht schlängelnden Melendiz-Fluss scheint die Zeit am diesem Ort gemächlich dahin zu plätschern.
Wie schon erwähnt: Im “Grand Canyon der Türkei” begegnet man noch dem Anatolien, wie wir es aus alten Reisebüchern kennen. Herrlich urwüchsig, unverfälscht und fast noch unberührt.
Text & Fotos: Jörg Baston. Redaktion: Nathalie Gütermann
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