
Mit dem Auto durch Rajasthan
Jeder passionierte Reisende kennt den Satz: „Die Reise, nicht die Ankunft, zählt.“ Dieses Zitat von TS Eliot beschreibt treffend eine individuelle Autoreise durch Rajasthan. Im Gegensatz zu den beliebten Bustouren bietet das Erkunden dieses faszinierenden Bundeslandes auf eigene Faust ein Erlebnis der Art. Das Reisen hier mag anstrengend, laut und chaotisch sein, doch es ist ebenso farbenprächtig, spannend und voller einzigartiger Eindrücke – eine wahrhaft authentische „Incredible India“-Erfahrung!
Für unsere dreiwöchige Rundreise durch Rajasthan engagierten wir in Neu-Delhi einen privaten Fahrer, der gleichzeitig als Reiseführer diente. Sein Fahrzeug? Ein schneeweißer Hindustan Ambassador – wohl das stilvollste Auto, das man sich für einen Roadtrip durch Indien wünschen kann.
Dank seiner exzellenten Federung bot die Limousine uns beiden einen recht annehmbaren Komfort und beeindruckte dabei optisch auf charmante, nostalgische Weise. Insgesamt legten wir mit diesem Oldtimer rund 3.500 Kilometer durch Rajasthan zurück.
Der folgende Reisebericht bezieht sich ausschließlich auf unser subjektiv empfundenes Reiseerlebnis im Auto , nicht auf die Ansichten der eigentlichen Reiseziele. Diese können in den einzelnen Reiseberichten nachgelesen werden.
Städte & Dörfer
Unsere Route führte uns durch pulsierende Metropolen wie Neu-Delhi, …
… berühmte Rajasthan-Großstädte wie Jodhpur , Udaipur und, wie auf dem Bild zu sehen, die „Pink City“ Jaipur .
Aber auch Kleinstädte wie Pushkar , Mandawa , Phalodi , Vrindavan und Deshnok.
Die Fahrt geht dabei über mehr …
… oder weniger gut ausgebaute Asphaltstraßen. Oft sogar nur über Sandpisten.
Unzählige Dörfer liegen natürlich auf unserem Weg zu den vielen bekannten, aber auch weniger bekannten speltakulären Sehenswürdigkeiten, die der Wüstenstaat zu bieten hat.
Landschaften & Menschen
Während dieser Reise erlebten wir vielfältige Landschaften und die hier lebenden Menschen.
Die meisten dieser Begegnungen waren naturgemäß flüchtig, mit der Kamera festgehalten, oft auch aus dem vorbeifahrenden Auto.
Was ihre Faszination jedoch kein Abbruch tut, da diese Bilder nicht inszeniert sind, sondern authentische Momentaufnahmen des täglichen Lebens der Frauen, Männer und Kinder Rajasthans darstellen.
Und wie formulierte schon der Picasso. „Bilder sprechen nur genau in den Maßen, in dem sie keine Abbilder sind“.
Straßenverkehr
Unglaubliches Indien! Der offizielle Werbespruch der indischen Tourismusbehörde – Hier in Rajasthan nimmt er konkrete Gestalt an. Alles ist grell, bunt und laut – von den Märkten und Tempeln bis hin zu den leuchtenden Saris der omnipräsenten Frauen.
Die Mischung aus intensiven Gewürzen, Blütenduft, Räucherstäbchen, Dieselabgasen und qualmendem Müll jeglicher Art kann schon mal Schwindel hervorrufen.
Und erst der Verkehr – ein einziges Chaos, ohne erkennbare Ordnung im westlichen Sinne, laut, dreckig und stinkend! Wir sind schon auf in ganz Asien mit dem Mietwagen gefahren, in Indien hatte sich dieses Thema bereits bei Verlassen des Flughafens erledigt.
Der Verkehr ist unvorstellbar „vielschichtig“. Links rattert laut ein Tuk-Tuk, ….
… rechts heult der getunte Motor eines Mopeds auf …
… und von vorne knattert einer der berüchtigten Truck, der sein ohrenbetäubendes Horn ertönen lässt.
Der ständige Lärm von Hupen in allen erdenklichen Klangvariationen wird vor allem, aber nicht ausschließlich, in den Städten zu einem allgegenwärtigen Begleiter. Für einen empfindsamen Westler gleicht dies einem regelrechten „Dauerangriff auf die Sinne“. Bei jeder Gelegenheit wird gehupt, und aufgrund der fehlenden Klimaanlage im Fahrzeug lässt sich das Fenster kaum öffnen.
Ohnehin ist die Hupe das wichtigste, oft einzige richtig funktionierende Zubehör der verbeulten Fahrzeuge und Motorrikschas. Es schein nach dem Motto zu gehen: Ich hupe, also bin ich. Wer nicht hupt, hat in diesem Chaos schon verloren!
Aber es sind ja auch noch eine Vielzahl natürlich betriebener, relativ lautloser Fahrzeugen im Einsatz, nämlich ebenfalls grell-bunt angemalte Rikscha in allen Variationen, gezogen von den unterschiedlichsten Tieren … Unsere Grünen in Deutschland hätten hier ihre wahre Freude! Nachhaltiger geht es ja nun wirklich nicht.
Aber es gibt sogar noch den Einsatz der menschlichen Kraft. Nicht etwa nur in Form von Fahrräder, sondern auch der guten alten Kutsche. Dies ist nicht etwa eine Aufnahme in einer Provinzstadt, sondern aus Jaipur!
Tiere & Straßenverkehr
Überhaupt – Tiere sind im rajasthanischen Straßenverkehr – und auch im allgemeinen Stadtbild vor allem der kleineren Städt – allgegenwärtig. Und ich spreche nicht von Hunden, Katzen oder Hühnern, wie in anderen asiatischen Ländern.
Nein, hier schaut man aus dem Wagen und sieht, wie ein ausgewachsener Elefant mit Einheimischen auf dem Rücken ganz selbstverständlich die Straße entlangschreitet.
Zugegeben, der Mahout, also der Reiter des Elefanten, hat sogar noch einen besseren Verkehrsüberblick als ein deutscher SUV-Fahrer …
Wir hatten in der Nähe von Jaipur dieses Reiterlebnis ja ebenfalls genossen, allerdings in einem ausgesprochen ländlichen Umfeld (siehe “Elefanten-Tour beim Amber Fort“).
Oder ein Dromedar, oft sogar ganze Herden davon, kommen unserem Wagen entgegen.
Hier sind sie völlig normale Verkehrsteilnehmer! Man beachte nur den leicht verächtlichen Blick des Tieres in unsere Richtung!
Halb in der Mitte der holprigen, halb versandeten Hauptstraße, hier in der Wüstenstadt Bikaner, liegt eine Kuh völlig unbekümmert – sie scheint zu wissen, dass sie hier in Indien heilig und damit praktisch unantastbar ist.
Übrigens ist der Schutz von Kühen in Rajasthan sogar gesetzlich verankert. So fördert beispielsweise das „Rajasthan Bovine Animal (Prohibition of Slaughter and Regulation of Temporary Migration or Export) Act“ von 1995 den Schutz und die Verehrung dieser Tiere. Na dann …
Wir fahren natürlich auf unserer Rajasthan-Tour überwiegend über die Landstraßen. Diese machen hier ihrem Namen alle Ehre!
Denn in vielen Regionen hat die Landwirtschaft oder vielmehr die Viehwirtschaft eindeutig Vorrang – oder nimmt sich diesen einfach, selbst auf asphaltierten Straßen, die eigentlich für den Fahrzeugverkehr gedacht sind. Normative Kraft des Faktischen eben.
Es wird schnell klar: Straßen sind hier nicht nur Verkehrswege, sondern wahre soziale und ökologische Biotope.
Natürlich gibt es auf unserer 3.500 km langen Strecke mit unserem Ambassador auch Reiseabschnitte, auf denen man entspannt, d.h. ohne das enervierende Verkehrschaos der größeren Siedlungen und Städte, vorankommt. Insbesondere in den weniger dicht bevölkerten landschaftlich reizvollen Gegenden macht das Reisen im Auto viel Spaß.
Die vorbeiziehenden Landschaften sind trotz des Wüstencharakters von Rajasthan recht abwechslungsreich. Hohe Berge mit grünen Tälern …
wechseln sich mit See- und Flusslandschaften ab, der im Nordwesten Rajasthan durchquerende Aravalli-Gebirgszug oft im Hintergund.
Wo intensive Landwirtschaft betrieben wird kann es auch dann mal richtig satt-grün werden!
Überall bieten uns beim Durchqueren der Landschaften und Siedlungen interessante Einblicke in das teils noch archaisch anmutende Landleben Rajasthans und deren Bewohner.
Frauen in Rajasthan
Apropos Landbevölkerung – Die insgesamt trockene, oft fast monochrome Landschaft wird immer wieder von besonders Farbakzenten belebt: Frauen. Egal, welchen Tätigkeiten sie nachgehen, sie tun es stets in den farbenfrohen, typisch rajasthanischen Saris.
Nirgendwo auf der Welt haben wir elegantere Frauen gesehen als hier in Rajasthan! Man nur vergleiche diese Farbepracht und die natürliche Anmut der in der Regel “einfachen” Frauen mit einer vergleichbaren Szene etwa in Europa!
Interessanterweise bestehen auch viele der Baukolonnen, an denen wir vorbeifahren, hauptsächlich aus Frauen. Oft tragen diese barfuß Sand, Zement und Schutt in Weidenkörben auf dem Kopf.
Sie müssen für noch weniger Lohn arbeiten als ihre Männer, was sie jedoch nicht davon abhält, stets elegant und farbenfroh zu erscheinen.
Trucks
Und dann die omnipräsenten Trucks! Sie sind eine Fahrzeuggattung für sich – regelmäßig grellbunt bemalt, oft wahre Kunstwerke.
Besonders beliebt bei den Truckies – Abbildungen von Tigern. Hier muss man wissen – Tiger werden in Indien als Verkörperung von Stärke, Mut und Majestät verehrt. Die hinduistische Göttin Durga reitet zum Beispiel auf einem Tiger, was ihre Macht und Furchtlosigkeit symbolisiert. Nun, passt gut zu dem Fahrverhalten der meisten LKW-Fahrer!
Denn diese kennen nur eine Regel: das Recht des Stärkeren. Von künstlerischer Finesse, keine Spur. Auf einer Landstraße in Rajasthan überholt uns ein völlig überladener Truck. Hier durchaus nicht unüblich…
Die gesamte Fahrbahn gehört ihm. Unser Fahrer weicht aus, hält an und sagt gelassen: „Er ist nun mal größer und stärker!“ Fatalismus oder auch Pragmatismus à la India!
Im Vergleich dazu fühlt sich Autofahren etwa in Thailand wie eine gemütliche Spritztour durch das Berner Oberland an! Aber der Fahrstil geht auch nicht immer gut aus …
Magic Moments
In dem ganzen Chaos auf den Straßen gibt es natürlich immer wieder Momente, die unser Abenteuer “Driving in India” versüßen und einen einfach zum Schmunzeln …
…. oder zum Kopf Schütteln bringen!
Fazit
Trotz des scheinbaren Chaos funktioniert in Indien alles auf erstaunliche Weise. Auch das sich bewegen im Straßenverkehr. Die Menschen haben sich arrangiert, sind daran gewöhnt. Über Indien gibt es ein bekanntes Bonmot, das bis heute Gültigkeit hat: „Jeder Westler, der nach Indien kommt, lernt Geduld, wenn er keine hat.“ Und er verliert sie, wenn er sie hat.“
Indien schockiert den westlichen Reisenden – nicht nur, aber besonders im Straßenverkehr. Doch die Eindrücke und Erfahrungen, die das Land bietet, machen dies mehr als wet.
Eine Rundfahrt mit einem privaten PKW quer durch Rajasthan, wie oben skizziert, ist ein „Once-in-a-Lifetime-Experience“. Wir möchten den Erlebnisbericht über unsere Autofahrt quer durch Rajasthan mit einem Zitat von Johann Wolfgang von Goethe abschließen: „Das ist das Angenehme am Reisen, dass auch das Gewöhnliche durch Neuheit und Überraschung das Ansehen eines Abenteuers gewinnt.“
© Text & Fotos: Jörg Baston